Rollenwechsel im Lebens-Film: Mario Dietel ist der jüngste Gemeinderat im Hohenlohekreis
Das gute Ergebnis der Grünen beförderte den damals 19-jährigen Öhringer 2019 als jüngstes Mitglied in ein hiesiges Kommunalparlament. Er hat dort Blut geleckt und studiert nun Politikwissenschaft. Ein Porträt im Rahmen der HZ-Jubiläumsserie "75 Gesichter, 75 Geschichten".

Ein Traum, der Wirklichkeit geworden ist, hat dazu geführt, dass eine andere Wunschvorstellung nicht realisiert wurde. Denn eigentlich schien das Drehbuch des Lebens für Mario Dietel seit der Jugend geschrieben: Filmregie wollte er unbedingt nach dem Abitur studieren.
Doch die Szenen, die ihm die Ereignisse der vergangenen Jahre darboten, haben dazu geführt, dass der Lebens-Film des jüngsten Kommunalpolitikers im Kreis nun einen neuen Titel bekommen hat: "Die Klimakrise sowie Corona haben bei mir einen Prozess ausgelöst - und ich habe mich entschieden, Politikwissenschaft zu studieren", sagt Dietel, der seit der Wahl 2019 für die Fraktion UNS/Die Grünen im Öhringer Gemeinderat sitzt.
Der Streifen, in dem der heute 21-Jährige die Hauptrolle spielt, beginnt am 6. Mai 2000 in Schwäbisch Hall. Doch rasch wird der Junge ein (fast) waschechter Öhringer: 2003 ziehen die Eltern mit ihm nach Cappel. Mario ist ein verträumtes Kind. Ruhig und in sich gekehrt. "Ich war sehr mit Eskapismus beschäftigt", erinnert sich der junge Mann heute. Der Junge damals erschafft seine eigene Welt, lebt in den Inhalten und Dialogen der Serien, die er sieht; taucht tief ein in die magischen Welten von "Star Wars" und Fantasy-Filmen.
Erfahrungen, die prägend sind
Die Flucht hat einen Grund - weil andere Jugendliche zu dieser Zeit oft einen Grund finden, den schüchternen Jungen zu ärgern. Mario schaltet ab, indem er den Bildschirm einschaltet. "Ungerechtigkeiten haben mich geprägt und mich dazu gebracht, mich für Politik und Gesellschaft zu interessieren", sagt der Student mit der festen Stimme und der gewählten Ausdrucksweise ein knappes Jahrzehnt später.
Als Mario sich am Aufbaugymnasium in Obersulm aufs Abitur vorbereitet, bekommt draußen die deutsche Politik eine andere Brennweite: Die Bilder, die man in Parlamenten und zunehmend auch auf den Straßen dreht, werden grüner. Ein Mädchen namens Greta hat sich vor eine schwedische Schule gesetzt - wenig später streiken und streiten Jugendliche auf der ganzen Welt mit ihr für eine lebenswerte Zukunft.
Ein Erweckungserlebnis - auch für Mario Dietel. Er stößt zu Fridays for Future, gründet die Öhringer Ortsgruppe mit, organisiert die erste Demo, an der sofort über 200 Menschen teilnehmen. "Wir waren überwältigt von der Resonanz." Irgendwann zu jener Zeit fragt ihn seine Mutter, warum er denn nicht einfach fürs Öhringer Kommunalparlament kandidiere? "Ich glaube, um mich damit auseinanderzusetzen, habe ich keine Minute gebraucht." Und schon wenig später ist der Abiturient voll im Film: Wahlkampf, Bürgerdialog, Plakate kleben mit Catherine Kern, heute Landtagsabgeordnete in Stuttgart.
Ob ihm, dem zurückhaltenden Kind von einst, das nicht ungeheuer schwergefallen ist? "Mit Menschen umzugehen und auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten, habe ich schon bei unseren Filmprojekten gelernt." Denn: Bevor ihn die Politik aufsaugt, dreht Mario mit anderen Jugendlichen mehrere Low-Budget-Kurzfilme. Sie laufen im Öhringer Kino. Und draußen läuft die Kandidatur auf Hochtouren. Mit Erfolg. Das gute Wahlergebnis der Grünen macht es möglich - und Mario Dietel mit 19 Jahren zum jüngsten Gemeinderat im Hohenlohekreis.
Rollenverteilung ist noch unklar
Anfangs wird er von den arrivierten Herrschaften dort ob jener der Jugend eigenen Verve und Dringlichkeit bisweilen argwöhnisch beäugt. Nun, fast drei Jahre später, hat Dietel - der jetzt zwischen seinem Studienort Würzburg und Hohenlohe pendelt - sich gut eingelebt in der Welt der Beschlüsse, Bürgerfragen und Bauanträge. Doch am Anfang steht Ernüchterung: "Die kommunalpolitischen Prozesse sind oft zäh - und es ist auch nicht einfach, persönliche Akzente zu setzen, die über Kleinigkeiten hinausgehen." Keine Kleinigkeit indessen ist das Ziel eines Klimamanagers für Öhringen, das er sich gleich federführend auf die Fahne schreibt. Letztlich mit Erfolg. Die Mühlen der Politik mahlen zwar langsam - aber die Räder der Demokratie drehen sich beständig und meist mit Ergebnissen.
Das sieht auch Mario Dietel so. Doch ob er bei der Kommunalwahl 2024 erneut für den Öhringer Rat kandidiert? Das wisse er noch nicht. Aber die Politik lässt ihn wohl so schnell nicht mehr los. Sei es durchs Studium - oder vielleicht auch durch ein "Amt auf Landes- oder Bundesebene". Das könne er sich vorstellen. Und wenn es mit der Politik doch nichts wird: Sein nächstes Drehbuch wartet in der Schublade auf die Umsetzung. Der Film des Mario Dietel geht weiter. Die Rollenverteilung aber ist noch offen.
Info: Die Serie
Im Jubiläumsjahr stellt die Hohenloher Zeitung ihre Leser in den Mittelpunkt: Die Serie "75 Gesichter - 75 Geschichten" wurde in der Print-Jubiläumsbeilage am 29./30. Januar mit 16 Menschen aus den 16 Kommunen des Kreises gestartet und wird nun über das Jahr hinweg in loser Folge fortgesetzt.