Die EU plant, Chats bei Whatsapp und anderen Messengern zu durchleuchten. So will man Bilder und Videos von Kindesmissbrauch aufspüren. Deutschland hat die Pläne abgelehnt. Was nun passiert.
Auf EU-Ebene wird seit Jahren an einer Verordnung gefeilt, mit der private Chats bei Whatsapp und Co. durchleuchtet werden können. Wie es mit dem Vorhaben weitergeht, ist ungewiss.
Foto: Karl-Josef Hildenbrand
Auf EU-Ebene ist ein Streit um die Pläne zur Chatkontrolle entbrannt. Einen eigentlich vereinbarten Kompromiss hat die deutsche Bundesregierung abgelehnt, wie es weitergeht, ist unklar.
Doch worum geht es genau? Die EU-Kommission hat ihre Pläne für die sogenannte Chatkontrolle-Verordnung im Mai 2022 vorgelegt. Darin schlägt die Kommission vor, dass Messengerdienste wie Whatsapp, Signal und Telegram die Chats ihrer Nutzer systematisch durchleuchten sollen.
Auf diese Weise sollen Bilder und Videos von Kindesmissbrauch gefunden und an die Polizeibehörden weitergeleitet werden. So begründete auch EU-Innenkommissarin Ylva Johansson den Entwurf: „Er soll die Opfer dieser schrecklichen Verbrechen schützen, sie immer wieder im Internet durchleben zu müssen.“ Die Chatkontrolle ist Teil einer umfassenderen Strategie gegen Kindesmissbrauch.
Chatkontrolle der EU: Verschlüsselung bei Whatsapp soll aufgeweicht werden
Die Verordnung sieht vor, dass Messenger-Anbieter Texte, Bilde, Videos oder Sprachnachrichten offenlegen müssen, wenn Sicherheitsbehörden das verlangen. Dazu sollen die Anbieter Technik einsetzen, die alle Inhalte scannt und Kindesmissbrauch-Darstellungen erkennt.
Das Problem: Messenger wie Whatsapp, Signal oder Threema setzen auf eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Das bedeutet, dass Textnachrichten oder Bilder auf dem Gerät des Absenders verschlüsselt und auf dem Gerät des Empfängers entschlüsselt werden. Weder die Betreiberfirmen noch sonst jemand kann also sehen, was man über den Messenger austauscht. Die Technik wird als sehr sicher bewertet, solange der Quellcode wie bei Signal und Threema öffentlich einsehbar ist. Whatsapp hat seinen Code nicht veröffentlicht.
Das bedeutet allerdings auch: Wenn die Messenger-Anbieter Inhalte ihrer Nutzer für Behörden sichtbar machen sollen, muss die Verschlüsselung aufgebrochen werden. Solche Lücken im Quellcode bergen das Risiko, dass Hacker diese finden und Zugriff auf private Chats von Millionen Menschen haben.
Breite Kritik gegen Chatkontrolle-Verordnung der EU
Entsprechend heftig ist die Kritik, die der EU-Kommission seitdem entgegenschlägt. So schreibt etwa das Forschungszentrum Informatik in Karlsruhe, der Entwurf lege „das Fundament für eine tiefgehende Massenüberwachung, die die Privatsphäre aushöhlt und einen Grundpfeiler der Demokratie untergräbt“. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) warnt: „Jedes Brechen der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung erhöht die Angriffsfläche und birgt hohe Risiken.“
Auch der Deutsche Kinderschutzbund, der den Kampf gegen sexuellen Missbrauch an Kindern grundsätzlich befürwortet, lehnt die Chatkontrolle ab. „Diese anlasslose Überwachung von Kommunikation ist ein tiefer Eingriff in das Grundrecht der Kommunikationsfreiheit, eines wesentlichen Bestandteils der Meinungsfreiheit und ein wichtiges Kinderrecht“, heißt es in einer Stellungnahme. „Wir fürchten Auswirkungen auf das Verhalten von Kindern und Jugendlichen allein dadurch, dass diese Option besteht.“
Der Messenger Signal kündigte sogar an, seinen Dienst in der EU ganz einzustellen, wenn die Chatkontrolle beschlossen wird. „Es ist bedauerlich, dass Politiker weiterhin einer Art magischem Denken verfallen, das davon ausgeht, dass man eine Hintertür schaffen kann, auf die nur die Guten Zugriff haben“, erklärte Signal-Chefin Meredith Whittaker.
EU-Parlament hat sich bei Chatkontrolle schon Ende 2023 geeinigt
Wegen der scharfen Kritik durchläuft die Chatkontrolle-Verordnung seit Jahren die verschiedenen EU-Institutionen. Das EU-Parlament stellte sich anfangs lagerübergreifend und mit breiter Mehrheit gegen die Pläne. Nach schwierigen Verhandlungen stand Ende 2023 ein Kompromiss, mit dem fast alle Fraktionen leben konnten, darunter CDU/CSU, SPD, Grüne, FPD und Linke.
Diese Einigung sieht vor, dass verschlüsselte Kommunikation grundsätzlich ausgenommen ist und ein konkreter Verdacht bestehen muss, wenn unverschlüsselte Kommunikation überwacht wird. Außerdem darf sich die Maßnahme nur gegen einzelne Personen richten. Seit dem Beschluss wartet das EU-Parlament darauf, dass die EU-Länder im Rat eine gemeinsame Position abstimmen.
Widerstand der deutschen Bundesregierung hat Chatkontrolle vorerst scheitern lassen
Doch die Lage im Rat ist verzwickt. Sechs Länder haben während ihrer EU-Ratspräsidentschaft einen Kompromissvorschlag gemacht, doch keiner hatte bisher Chancen auf eine Mehrheit. Der neueste Vorschlag kommt vom Befürworterland Dänemark, das in seinem Entwurf wieder eine weitreichende und verpflichtende Chatkontrolle vorsieht.
Die deutsche Bundesregierung hat mit ihrer Haltung zur Chatkontrolle ebenfalls für Aufsehen gesorgt. Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) lehnte das Vorhaben klar ab und erklärte: „Massenhaftes Scannen privater Nachrichten muss in einem Rechtsstaat tabu sein. Private Kommunikation darf nie unter Generalverdacht stehen.“ Solchen Vorschlägen werde Deutschland nicht zustimmen.
Das Bundesinnenministerium vermied es dagegen, sich klar zu positionieren. Bemerkenswert: Nicht Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) äußerte sich zu dem Thema, sondern Unions-Fraktionschef Jens Spahn. Dieser sprach sich ebenfalls gegen die Chatkontrolle aus. „Das wäre so, als würde man vorsorglich alle Briefe öffnen und schauen, ob da etwas Verbotenes drin ist. Das geht nicht“, sagte Spahn.
Heilbronner CDU-Politiker Alexander Throm: Kein Eingriff in Verschlüsselung
Dem schloss sich Alexander Throm, Heilbronner Abgeordneter und innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, an. „Unsere Linie ist klar. Kein allgemeines Scannen privater Kommunikation und keine Eingriffe in Ende-zu-Ende-Verschlüsselung“, erklärte er. Für effektiven Kinderschutz brauche es Prävention, starke Ermittlungen, gut ausgestattete Meldestellen und schnelle Löschungen, so Throm weiter. „So schützen wir Kinder und bewahren Grundrechte sowie IT Sicherheit.“
Vergangenen Dienstag wurde die Abstimmung über die Chatkontrolle im Rat erneut vertagt, weil ohne Deutschland keine Mehrheit zustande gekommen wäre. Vom Tisch ist das Vorhaben damit aber nicht, die EU-Innenminister tagen wieder am 8. und 9. Dezember. Außerdem könnte die polnische Ratspräsidentschaft das Thema Chatkontrolle 2026 wieder aufrufen.
Doch wie läuft der Kampf gegen sogenannte „Kinderpornografie“ ohne Chatkontrolle ab? Für Aufsehen sorgte Anfang 2025 eine Dokumentation des NDR. Darin haben die Autoren Links zu Missbrauchsinhalten im Darknet automatisiert gesammelt und massenhaft an die sogenannten Filehoster gemeldet. Diese löschten oft innerhalb eines Tages. Ermittlungsbehörden wie dem Bundeskriminalamt warfen die Autoren vor, dass diese bisher nicht auf proaktives und schnelles Löschen setzen.
Eine Sprecherin des Bundeskriminalamts betont auf Stimme-Anfrage, dass der Schwerpunkt bei Ermittlungen darauf liegt, Betreiber der Plattformen zu finden, strafrechtlich zu verfolgen und die Webseiten abzuschalten. Dabei würden von Nutzern gepostete Links durchaus an die Filehoster gemeldet, erklärt die Sprecherin. Solche Löschungen passieren „regelmäßig“, 2022 und 2023 seien 1,5 Millionen Verlinkungen gemeldet worden.
Die Links einfach löschen zu lassen, wie es die NDR-Journalisten getan haben, ist für das BKA weiterhin keine Option. Für jeden Missbrauchsinhalt müsse ein Ermittlungsverfahren gestartet werden. „Eine massenhafte ungeprüfte Löschung von Missbrauchsabbildungen ohne Einleitung von Ermittlungsverfahren verstößt somit gegen das Legalitätsprinzip.“
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