Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes arbeiten in Deutschland 1,16 Millionen Rentnerinnen und Rentner zwischen 65 und 74 Jahren. Die Hälfte dieser arbeitenden Rentner hat einen Minijob und arbeitet in der Regel bis zu zehn Stunden die Woche. Nur ein Drittel ist selbständig. Die Gründe fürs Weiterarbeiten sind unterschiedlich: Ein Drittel gibt an, dass es finanziell nötig ist, bei einem weiteren Drittel ist das nicht so – stattdessen steht die Freude am Job im Vordergrund. Elf Prozent der Rentner arbeiten, weil es finanziell attraktiv ist oder der Partner noch arbeitet.
2000 Euro im Ruhestand dazuverdienen: Wie sinnvoll ist die Aktivrente?
Die Bundesregierung will Rentnern Anreize bieten, damit sie weiterarbeiten. Ein Heilbronner Senioren-Vertreter kann diese Idee nicht nachvollziehen.
Arbeiten statt Ruhestand, das soll künftig einfacher möglich sein. Die schwarz-rote Bundesregierung will dafür ab nächstem Jahr eine sogenannte Aktivrente einführen. Die Idee: Rentner, die weiterarbeiten, dürfen sich dann 2000 Euro steuerfrei dazuverdienen.
Das Weiterarbeiten soll freiwillig bleiben, betont Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Ebenso will die Regierung das Vorbeschäftigungsverbot abschaffen. Damit dürften Rentner, anders als heute, in ihrem bisherigen Betrieb zurückkehren.

Aktivrente: Wirtschaftsforscher sehen hohe Kosten und negative Begleiteffekte
Bei Wirtschaftsexperten kommt die Idee allerdings nicht gut an. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln geht davon aus, dass die Aktivrente mehrere Milliarden Euro kostet, je nachdem, wer den Steuervorteil in Anspruch nehmen darf. Das liegt an Mitnahmeeffekten, etwa wenn Menschen ihren Rentenbeginn vorziehen und steuerfrei weiterarbeiten. „Zudem ist fraglich, ob die Aktivrente besser situierte Altersrentner mehr arbeiten lässt, deren Arbeitsmotive bekanntlich primär nicht finanzieller Natur sind“, so die IW-Autoren weiter.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin ist ebenfalls skeptisch. Der Ökonom und DIW-Präsident Marcel Fratzscher rechnet vor, dass durch die Aktivrente vor allem wohlhabendere Rentner profitieren. Das seien die, die schon heute weiterarbeiten.
Fratzscher fordert Abschaffung der Rente nach 45 Beitragsjahren statt Aktivrente
„Menschen mit geringem Einkommen hingegen sind im Alter deutlich seltener erwerbstätig – oftmals, weil sie gesundheitlich eingeschränkt sind oder weil sie mangels Infrastruktur familiäre Pflege- oder Betreuungsaufgaben übernehmen müssen“, schreibt Fratzscher. Außerdem schaffe die Aktivrente mutmaßlich kaum mehr Jobs und benachteilige Selbstständige.
Der DIW-Präsident fordert deshalb stattdessen, die Rente nach 45 Beitragsjahren abzuschaffen. „Nur knapp die Hälfte der Beschäftigten arbeitet bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter. Viele könnten es gesundheitlich, tun es aber aus finanziellen Gründen nicht“, so Fratzscher.
Heilbronner Vereinsvorstand von Senioren für Andere: Nutzen der Aktivrente fraglich
Wolfgang Arndt, Vorstand des Heilbronner Vereins Senioren für Andere, sieht die Aktivrente genauso skeptisch. Zwar sei es schön, wenn Rentner, die das möchten, sich etwas dazuverdienen können. „Welchen Nutzen die Gesellschaft oder der Staat davon haben sollen, verstehe ich allerdings nicht.“
Nach Arndts Erfahrung gebe es durchaus Menschen, die im Rentenalter geistig und körperlich fit genug sind, um weiterzuarbeiten. Wie schwierig das in der Praxis ist, hat der 77-Jährige Heilbronner selbst erfahren: Eigentlich hätte er in Altersteilzeit gehen sollen, wollte aber in Teilzeit mit mehr Stunden weiterarbeiten. „Dafür musste ich bis zur Geschäftsführung.“ Der Vereinsvorsitzende hält das auch generell für sinnvoller: Arbeitnehmer sollten ab einem gewissen Alter – 63, 65 oder 67 – ein Angebot bekommen, ob sie auf Teilzeit umstellen wollen. „Ich glaube, damit würde man mehr Menschen motivieren, länger zu arbeiten.“
Rentner arbeiten länger – Nachteil für junge Berufseinsteiger?
Allerdings sieht Arndt die Gefahr, dass der Druck auf Senioren steigt, immer später in den Ruhestand zu gehen. „Mit 48 Prozent des Einkommens kann nicht jeder komfortabel weiterleben“, kritisiert Arndt. „Für manche wird das ein deutlicher Einschnitt. Ich kann mir vorstellen, dass manch einer sagt, er muss weiterarbeiten.“
Dazu kämen weitere Fragen. Weiterarbeiten komme für viele nur in Frage, wenn sie in ihrem Betrieb bleiben können, weiß Arndt. „Üblicherweise werden keine Menschen über 60 Jahre neu eingestellt.“ Hier müssten die Arbeitgeber einen Sinneswandel durchlaufen. Gleichwohl droht aus Sicht des 77-Jährigen damit ein Nachteil für Berufsanfänger, die auf eine Stelle warten. „Das ist ein Effekt, der nicht zu unterschätzen ist. Wir haben aktuell eine steigende Arbeitslosigkeit. Da muss man sich fragen: Passt dieses Konzept in die Zeit?

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