Stimmt!-Schreiberin Lilli Zenth: "Feminismus geht uns alle etwas an"
Zum heutigen Weltfrauentag (8. März) hat sich Stimmt!-Schreiberin Lilli Zenth Gedanken über Gleichberechtigung gemacht.
„Is feminism dead?” In dem Film „The Punk Singer”, eine Dokumentation über die feministische Sängerin Kathleen Hanna aus der Band Bikini Kill, gibt es eine Szene, in der sie sich genau das fragt. Sie erzählt, dass sie in jungen Jahren einen Zeitungsartikel mit dieser Überschrift las, „Is feminism dead?”, also „Ist der Feminismus tot?”. Sie redete mit ihrer besten Freundin darüber, und die beiden Frauen waren sich einig, der Feminismus könne nicht tot sein, denn er lebe ja weiter durch sie. Das war in den 90ern. Als ich diese Szene zum ersten Mal sah, musste ich weinen. Es waren zwar nicht mehr die Neunziger, aber der Feminismus konnte doch immer noch nicht tot sein, weil ich eine Feministin bin. Und weil meine Freundinnen Feministinnen sind. Wie kann etwas tot sein, das von so vielen Menschen tagtäglich gelebt wird?

Trotzdem werden Stimmen in der Gesellschaft laut, vor allem männliche, die behaupten, Feminismus sei bereits nach der Errungenschaft des Wahlrechtes für Frauen 1918 unnötig geworden. Und dass alles, was danach kam, lediglich Luxusprobleme wären. Stimmen, für die es nichts Schlimmeres zu geben scheint als die Frauenquote oder der bezahlte Perioden-Urlaub in Spanien oder dass ihr geliebter Pfefferminzschnaps jetzt „Berliner*innen Luft“ heißt. Als Mann ist es einfach zu sagen, dass wir keinen Feminismus mehr bräuchten. Da fallen einem die 18 Prozent, die Frauen pro Stunde weniger verdienen, gar nicht so sehr auf. Oder die äußerst problematischen Aussagen gewisser konservativer Politiker, die nach einem Fehlverhalten Verständnis vortäuschen, weil sie ja auch Frau und Töchter hätten.
Warum es Feminismus braucht
Ich bin so unendlich müde. Und ich bin traurig. Traurig über all die Frauen, die ihr Leben durch die Gewalt ihres Partners verloren haben. Ich leide mit den Frauen im Iran, die für ihre Freiheit und Selbstbestimmung auf die Straße gehen, immer mit dem Bewusstsein, dass sie vielleicht nicht mehr nach Hause zurückkehren könnten. Denn dieses System hasst Frauen wie sie. Ich leide mit den Mädchen in Somalia, von denen laut der gemeinnützigen Organisation Terre des Femmes 98 Prozent gegen ihren Willen Opfer einer Genitalverstümmelung wurden, und mit den Mädchen, die nie eine Wahl hatten. Die nicht zur Schule gehen durften. Die zwangsverheiratet und vergewaltigt wurden und Kinder bekommen, obwohl sie doch selbst noch Kinder sind. Ihnen wird der Zugang zur Bildung verweigert, denn Bildung macht Frauen stark. Sie werden zum größten Feind für ein System, das auf ihrer Ausbeutung und Ungleichheit beruht.
Diese Frauen sind keine Heldinnen. Sie sind keine inspirierenden Geschichten, und vor allem sind sie keine Einzelfälle. Sie wollen nicht stark und mutig sein, sie werden dazu gezwungen. Von einer Welt, die nach wie vor von Ungerechtigkeit bestimmt wird und in der das Geschlecht das eigene Schicksal bestimmt. Wir brauchen den Feminismus noch heute, denn wenn die Welt ein perfekter Ort der Gerechtigkeit wäre, dann müssten meine Freundinnen mir nicht in der Nacht schreiben, dass sie sicher nach Hause gekommen sind. Dann bräuchten wir kein Pfefferspray in den Taschen oder Haargummis, um unsere Gläser im Club abzudecken.
Was Frauen alles sollen
Wenn wir den Feminismus nicht bräuchten, dann wäre meine Social- Media-Startseite nicht voll mit Werbung, die mir erzählen will, was ich alles vermeiden soll, um im Alter bloß keine Falten zu bekommen. Ich soll diese eine überteuerte Nachtcreme benutzen, ich soll mir keine Pferdeschwänze machen und auf einem Seidenkissen schlafen und am allerwichtigsten, ich soll doch bitte nicht lächeln. Wer Spaß hat, hat mehr Falten. Aber ich darf nicht älter werden. Denn während Männer altern wie feiner Wein und immer besser aussehen mit den Jahren, fühle ich mich wie ein Stück Fleisch. Ich muss frisch und jung sein, mager, nicht zu dick, sonst bin ich wertlos. Mindestens die Hälfte meiner weiblichen Freundinnen hatte mindestens einmal im Leben mit einem gestörtem Essverhalten zu kämpfen. Denn was bin ich, wenn nicht begehrenswert?
Frauen sollen schön sein, aber sie sollen es nicht selbst wissen. Sie sollen schlau sein, aber nicht zu schlau. Niemand will eine Klugscheißerin. Sie sollen sich attraktiv kleiden, aber bloß nicht zu freizügig. Sie sollen nicht in alten Rollenbildern feststecken, sollen modern sein und selbst Geld verdienen. Trotzdem sollen sie noch den Haushalt machen, kochen, sich um die Kinder kümmern. Eine Frau soll Karriere machen, aber wehe, sie ist zu ehrgeizig. Wenn ein Mann das Kind in der Kita abgibt, ist er der fleißige Vorzeigevater, eine Frau eine Rabenmutter, die mit sich selbst und ihren Kindern überfordert ist. Wenn ich das, was ich hier schreibe, männlichen Mitschülern erzähle, werde ich meistens nur mit verächtlichen Blicken angeschaut. Rede ich mit anderen Frauen darüber, kann meine Gesprächspartnerin meistens meine Sätze beenden. Über was ich rede, sind keine Frauen-Probleme. Feminismus geht uns alle etwas an.
Es geht nicht um Hass auf Männer
Und es geht auch nicht um einen Hass auf Männer. Anders als der feministische Stereotyp meint, hassen wir keine Männer aus Prinzip. Was ich hasse ist Ungleichheit. Und ich hasse, dass es inoffizielle Regeln gibt, wie sich Männer und Frauen zu verhalten haben. Ich hasse, dass Männern eingetrichtert wird, dass sie stark sein müssen. Egal in welcher Situation. Ich hasse, dass ich an zwei Händen abzählen kann, wie oft ich meine männlichen Freunde weinen gesehen habe, nicht aber die Anzahl der Situationen, in denen eine weibliche Freundin auf der Straße von Fremden belästigt wurde. Was ich will, ist keine Herrschaft der Frauen. Ich will kein Matriarchat anstelle eines Patriarchats, denn keine Form der Unterdrückung ist besser als eine andere. Was ich will, ist echte Gleichheit und die Abschaffung von Geschlechterrollen, und ich werde so lange kämpfen, bis dieses Ziel nicht mehr nur eine Utopie ist. Und solange ich und so viele andere Menschen für eine solche Welt kämpfen, so lange ist der Feminismus alles andere als tot.
Wie wäre es wohl, ein Mann zu sein?
Habt ihr euch als Mädchen oder Frau schon einmal gefragt, wie es wohl wäre, ein Mann zu sein? Gewissen Stereotypen und Geschlechterrollen zu entkommen? Das Phänomen, dass Frauen sich manchmal wünschen, ein Mann zu sein, wird als "gender envy" bezeichnet. Es beschreibt das Gefühl, dass Frauen aufgrund der bestehenden Geschlechterrollen und -stereotypen das Gefühl haben, dass Männer in vielen Bereichen des Lebens bevorzugt werden und dass es einfacher wäre, ein Mann zu sein. Dieses Phänomen kann auch im Zusammenhang mit dem internationalen Frauentag diskutiert werden, da dieser Tag darauf abzielt, die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern und bestehende Geschlechterstereotypen und -rollen zu hinterfragen und zu überwinden. Ich für meinen Teil kann sagen, dass sich diese Gedanken schon des Öfteren in meinen Kopf geschlichen haben. Besonders in Momenten, in denen ich abends allein nach Hause laufe oder ich in Drogeriemärkten vor der Hygieneabteilung stehe und mir die Kosten für Tampons & Co. anschaue. Milea Erzinger