Seoul
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Ein Semester voller Kimchi, Kaffee & Karaokebars in Seoul

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Architekturstudentin Patricia Dauenhauer (29) hat den Schritt aus der Komfortzone gewagt und ein Semester lang in Südkorea studiert. Hier teilt sie ihre Erfahrungen.

Von Patricia Dauenhauer
Vor dem Gyeongbokgung Palace: Das traditionelle Gewand Hanbok darf auch von Touristen ausgeliehen und getragen werden.
Vor dem Gyeongbokgung Palace: Das traditionelle Gewand Hanbok darf auch von Touristen ausgeliehen und getragen werden.

Handy, Geldbeutel, T-Moneycard – in meinem Jute-Beutel wühlend verlasse ich das Gebäude des College of Fine Arts der Seoul National University (SNU). Meine Hose ist trotz Schürze mit weißen Flecken gescheckt: mein Dienstags-ist-Töpfern-Outfit. Der nächste Bus nach Hause fährt in acht Minuten. Wenn ich mich spute, kriege ich ihn. Auf dem Weg zur Haltestelle komme ich am Sportplatz vorbei. Ich lasse meinen Blick schweifen und sehe etwas entfernt zwei kleine Erhebungen, die von Wäldern bedeckt sind. In der Mitte, genau dort, wo sie sich treffen, geben die Bäume den Blick frei und ich erkenne die Hochhäuser der Stadt. Die Sonne geht gerade unter und verwandelt den Himmel in ein feuerrotes Meer. Ich bleibe stehen.

Eigentlich muss ich mich beeilen, den kleinen Hügel hinunter bis zur Haltestelle laufen. Doch es ist einer dieser besonderen Momente, in denen ich realisiere, wo ich gerade bin. Und was für ein Glück ich habe, das alles erleben zu dürfen. Seit vier Monaten studiere ich schon an Südkoreas renommiertester Universität, der Seoul National University (SNU), doch fassen kann ich es immer noch nicht. Ich kann es nicht fassen, dass ich dieses Land, diese Kultur, diese tollen Menschen kennenlernen darf. Deswegen muss ich ab und zu stehen bleiben und alles in mich aufsaugen. Denn bald ist das Auslandssemester vorbei.

Bei Sonnenuntergang herrscht mit den Hochhäusern und den Lichtern eine besondere Stimmung. Fotos: Patricia Dauenhauer
Bei Sonnenuntergang herrscht mit den Hochhäusern und den Lichtern eine besondere Stimmung. Fotos: Patricia Dauenhauer

Ich bin Architekturstudentin im Master an der Technischen Universität Darmstadt (TU) und wollte vor meinem Abschluss noch für ein Semester ins Ausland. Südkorea stand nicht von Anfang an ganz oben auf meiner Liste. Mir war aber klar, dass ich an eine Uni möchte, die englischsprachige Kurse anbietet. Zuerst wollte ich nach Eindhoven, aber das war mir dann doch zu nah. Ich dachte: Warum nicht weiter weg, wenn sich schon die Chance ergibt. Australien kam für mich nicht infrage – zu teuer. In Amerika gab es nur eine Partneruni und die war mitten in den Ozarks – zu weitab vom Schuss. Ich ging die asiatischen Länder durch und entschied mich für Südkorea.

300 Austauschstudierende aus der ganzen Welt

Wer an der SNU studieren möchte, muss vor allem gute Noten haben. Die Uni ist sehr beliebt, nicht nur bei Einheimischen. Insgesamt sind wir mehr als 300 Austauschstudierende aus der ganzen Welt. Und fast jeder von uns wird von einem Koreaner oder einer Koreanerin betreut – den Buddys. Die SNU ist für dieses Programm bekannt. Jeder Austauschstudierende kann sich auf einem Onlineportal einen Buddy aussuchen und eine kurze Bewerbung abschicken. Danach wird man einer Gruppe zugeordnet. Ich bin in Gruppe eins: ein bunt gemischter Haufen mit jungen Leuten aus Korea, Indonesien, China, Taiwan, England, Amerika, Frankreich und weiteren Ländern. Es sind Gespräche, Ausflüge, gemeinsame Abende, die dazu führten, dass ich nun Freunde aus aller Welt habe.

Das erste Mal in einem Katzencafé: Die süßen Miezen gesellen sich zu einem an den Tisch.
Das erste Mal in einem Katzencafé: Die süßen Miezen gesellen sich zu einem an den Tisch.

Südkorea ist ein hochentwickeltes Land mit einem extrem gut ausgebauten Transportsystem, Gemischtwarenläden an jeder Ecke, die 24 Stunden offen haben, frei verfügbarem Trinkwasser in allen Restaurants, einer Beauty- sowie Entertainmentindustrie mit K-Pop und K-Dramas sowie vielen kleinen Dingen, die den Alltag erleichtern. Ganz zu schweigen vom Essen. Zu jeder Hauptspeise gibt es mehrere Beilagen wie Kimchi, eingelegten Rettich, Reis und mehr. Es ist so günstig, essen zu gehen, dass es sich nicht lohnt, selbst zu kochen. Lebensmittel sind im Handel verhältnismäßig teuer, vor allem Obst oder Gemüse.

Zwischen ausgeprägter Kaffeekultur und Katzencafés

Neben der Essens- gibt es auch eine ausgeprägte Kaffeekultur. Überall findet man liebevoll eingerichtete Cafés, manchmal sogar mit haarigen Bewohnern wie in Katzencafés. Es ist alles ein bisschen verrückter als in Deutschland. Aber oft verrückt-gut. Wer genug vom Kaffee hat, geht in eine der unzähligen Karaokebars. Und nein, man muss nicht singen können. Eine koreanische Freundin hat mal zu mir gesagt, Karaokebars sind für Koreaner und Koreanerinnen ein Ausgleich zum stressigen Alltag. Hier lässt man den Ärger los, der sich tagsüber angestaut hat, indem man aus voller Inbrunst singt.

Ist dieser Ausblick nicht schön?
Ist dieser Ausblick nicht schön?

Doch Südkorea ist nicht perfekt. Das Land ist fußgängerunfreundlich, es gibt fast nirgends gutes Brot zu kaufen oder Mülleimer, um etwas zu entsorgen, dafür eine Menge toxischer Beautystandards. Um ihnen zu entsprechen, lassen sich viele junge Koreaner und Koreanerinnen operieren. In der Gesellschaft herrscht zudem ein enormer Leistungsdruck. Korea hat auch ein Problem mit Feminismus – ein Tabuthema. Frauen, die Kinder kriegen wollen, bleibt von Seiten vieler Unternehmen die Karriere verwehrt. Deshalb hat Korea die niedrigste Geburtenrate weltweit. Manche Frauen heiraten nicht einmal, weil der Arbeitgeber daraus die Schlussfolgerung ziehen könnte, dass bald Nachwuchs käme. Tradition und Innovation liegen nah beieinander, besonders in der Hauptstadt. Seoul – das sind Wolkenkratzer, wohin das Auge reicht, gutes Essen, freundliche Menschen.

Man muss viele Hürde meistern

Um ein Auslandssemester genießen zu können, müssen Austauschstudierende anfangs viele Hürden meistern. Um eine günstige Wohnung oder WG zu finden, braucht es Zeit. Meine Mitbewohnerin und ich haben uns für ein Airbnb entschieden. Die Preise sind vergleichbar mit deutschen Standards. Als Studierende hat man mehrere Möglichkeiten, in Seoul unterzukommen: Neben Airbnbs gibt es Wohnheime, Mietwohnungen, Shared Housing oder Goshiwons, sogenannte Einzelzimmer in einem Haus. Wohnungssuche, Krankenversicherung, Visum, Sim-Card: Anfangs ist alles ein Formularwirrwarr, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Seoul. Ich kann ohne die Alien Registration Card (ARC), eine Art Personalausweis, nicht einmal Essen bestellen.

Viele starren einen an, weil man anders aussieht 

In Südkorea gibt es viele Tempel, oft mit bunten Laternen geschmückt.
In Südkorea gibt es viele Tempel, oft mit bunten Laternen geschmückt.

Ein paar Wermutstropfen: Das Gefühl, nicht dazuzugehören, ist oft präsent. In der U-Bahn, im Bus, im Park. Viele starren einen an, weil man anders aussieht. Meine koreanischen Freunde behaupten immer, das sei reine Neugierde. Das ungute Gefühl jedoch bleibt. Außerdem ist die Sprachbarriere sehr groß. Die wenigsten Koreaner und Koreanerinnen sprechen fließend Englisch – etwas, das mich in so einem entwickelten Land überrascht hat. Mein Koreanisch-Sprachkurs, den ich vor dem Auslandssemester absolviert hatte, hat mir in vielen Alltagssituationen und vor allem beim Lesen weitergeholfen.

Mein Fazit 

Doch trotz aller Hürden, würde ich mich jederzeit wieder für dieses faszinierende Land entscheiden. Viele Studierende, die ein Auslandssemester gemacht haben, behaupten, es sei die beste Zeit ihres Lebens gewesen. Und obwohl ich meinen Ehemann, meine Familie und Freunde unfassbar vermisse, kann ich jetzt nachvollziehen, was diese Zeit so besonders macht. Es sind die Momente, in denen man innehalten muss und einfach glücklich ist. Auch wenn man dadurch vielleicht den Bus nach Hause verpasst. 




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