Alternative zum Pflegeheim: Tiny House begeistert in Sinsheim
Bosch Digital Innovation Hub arbeitet an einem mobilen Häuschen als Alternative oder Ergänzung zu Wohnangeboten für Pflegebedürftige: In Sinsheim war der Prototyp jetzt zwei Wochen lang zu sehen.
In Baden-Württemberg liegt die Zahl der Pflegebedürftigen bei über 600.000 Personen. Tendenz steigend. Heimplätze sind knapp – und teuer. Viel Personal dort geht in den nächsten fünf bis zehn Jahren in Rente. Ein Tiny House, das speziell auf die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen abgestimmt ist, könnte eine Alternative zu einem Pflegeheimplatz sein. Zwei Wochen stand das vom Bosch Digital Innovation Hub (BDIH) entwickelte Häuschen in Sinsheim.
Tiny House für Pflegebedürftige stößt in Sinsheim auf große Besucherresonanz
Täglich zog es über 100 Neugierige an. Menschen, die in der Pflege arbeiten, Menschen, die in Kommunen in der Verantwortung stehen oder Menschen, die kurz vor dem Ruhestand auch Antworten für sich selbst suchen.

„Wir waren selbst überrascht von der Resonanz“, sagt Entwickler Florian Burg. Er beschäftigt sich am BDIH mit den Themen Digitale Gesundheit und Digitale Pflege. „Viele Projekte führen wir zusammen mit Pflegeeinrichtungen durch.“ Da sei die Erkenntnis gereift, „dass wir zu wenig Pflegepersonal haben“. Heute schon. Und: „Wir sehen hier einen großen Bedarf auf uns zurollen.“ Die Rolle von pflegenden Angehörigen wird wieder an Bedeutung gewinnen, meint er.
Ein Baustein im Gesundheitssystem könnte es aus Burgs Sicht sein, Pflegebedürftige und Angehörige über das mobile Tiny House mit seiner Grundfläche von 17 Quadratmetern zusammenzubringen. Es könnte sowohl in einem Hof als auch in einem Garten stehen. Natürlich gebe es auch andere Wohnformen, etwa das betreute Wohnen. Burg und seinem Team geht es aber um die Alternative zu einem Pflegeheimplatz – und um die Stärkung der Familie.
Feedback auf Tiny House für Pflegebedürftige in Sinsheim fließt in Weiterentwicklung ein
Überwiegend positiv sei das Feedback derer, die das Tiny House in Sinsheim besichtigt haben, sagen Sarah Ganz, eine Kollegin Florian Burgs am BDIH, und Christine Heller, die beim DRK Rhein-Neckar/Heidelberg Wohnberatung macht. „Viele sagten: Das könnte ich mir für mich vorstellen.“ Die zwei Wochen in Sinsheim hätten sehr viel an wertvoller Erkenntnis gebracht, berichten die beiden Frauen.
Das Tiny House hat ja auch alles, was Menschen, die gepflegt werden müssen, brauchen: Es ist gut geschnitten, hell und freundlich ausgestattet, barrierefrei, mit genügend Platz für ein Pflegebett, einen Rollstuhl oder einen Rollator.
Die Küche ist unterfahrbar, das Bad verfügt über eine höhenverstellbare Toilette und eine Waschmaschine in der Nische. Platz für einen bewegbaren Sessel sowie einen Fernseher gibt es. Der BDIH hat auch hochmoderne digitale Tools eingebaut: einen Sensor für die Sturzerkennung etwa. Oder eine Pillenbox, die je nach Einstellung leuchtet oder klingelt, um an die Einnahme von Medikamenten zu erinnern. „Bauliche Kleinigkeiten muss und wird man in der nächsten Version noch verbessern“, sagt Christine Heller.

Hochschule Ravensburg/Weingarten arbeitet am Tiny House weiter
Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet. Jetzt zieht das kleine Häuschen weiter zur Hochschule Ravensburg/Weingarten. Dort befassen sich Informatiker im Wintersemester mit weiteren digitalen Lösungen. Im nächsten Sommer, so Florian Burg, könnten einzelne Hersteller mit der Produktion beginnen. „Wir würden die Tiny Häuser für Pflegebedürftige gerne als Mietobjekt zur Verfügung stellen“, sagt Florian Burg. Mietpreis: monatlich unter 1000 Euro warm.
Der Preis ist konkurrenzfähig, meint er. Die Zuzahlung für einen Pflegeheimplatz beträgt zwischenzeitlich bis zu 5000 Euro monatlich.
„So ein Haus kann sehr schnell zur Verfügung gestellt werden“, nennt Florian Burg ein weiteres Argument, das für das Tiny House für Pflegebedürftige spricht. Etwa, wenn Pflege unerwartet eintritt. Die Batterie für Licht und Heizung könne über den normalen Hausanschluss aufgeladen und ein beheizbarer Wasserschlauch an die normale Wasserversorgung angeschlossen werden. Am Abwasser wird noch gebastelt, aber auch das sollte am Ende problemlos in die Kanalisation eingeleitet werden können. Die Produktion in Holzständerbauweise könne so optimiert werden, dass das Häuschen in vier bis fünf Wochen zur Verfügung stehe.

Kommunen müssen baurechtliche Grundlagen für Tiny Häuser schaffen
Wer die Tiny Houses anschafft und vermietet, ist derzeit noch offen. Florian Burg kann sich da vieles vorstellen. So könnten etwa große Arbeitgeber Tiny Houses für ihre Mitarbeitenden auf Abruf bereithalten. Gespräche werden geführt. Partner werden gesucht. In den Gesprächen in Sinsheim sei bei Besuchern auch der Wunsch aufgetaucht, ein solches Häuschen zu kaufen.
Ein Preis von 70.000 Euro steht im Raum. Auch das wäre denkbar, meint Burg, aber speziell dieses Tiny House werde nur für eine bestimmte Zeit gebraucht. Dass das Tiny House, so wie es das BDIH geplant hat, nicht für jeden die ideale Lösung darstellt, ist sich Burg bewusst. „In Deutschland gibt es aktuell über sechs Millionen pflegebedürftige Menschen“, sagt der studierte Ökonom. „Wenn es nur für einen kleinen Teil passt, haben wir schon viel gewonnen.“
Stadt Sinsheim steht dem Tiny House für Pflegebedürftige positiv gegenüber
Eva Auwärter, die Seniorenbeauftragte der Stadt Sinsheim, hatte Florian Burg beim Deutschen Seniorentag in Mannheim kennengelernt. „Wir sind alle begeistert“, sagt auch deren Vorgesetzter Johannes Wolf, bei der Stadt Sinsheim Leiter des Amtes für Bildung, Familie und Senioren. „Im Bereich Pflege sehen wir Handlungsbedarf“, sagt er. „Pflegeplätze sind knapp und teuer.“
Das Tiny House stelle auch für ihn eine Alternative dar. Florian Burg hat mit seinem Projekt bei der Stadt Sinsheim offene Türen eingerannt. Gerne würde er eines für die Stadt anschaffen, aber dazu sei die Zeit noch nicht reif, lässt Wolf durchblicken. Beim Baurecht prüfe man den Wunsch nach einem Tiny House aber schon heute wohlwollend.
Den Kommunen kommt hier nämlich eine zentrale Rolle zu: Sie müssen den Weg baurechtlich freimachen. Allerdings tue sich derzeit viel, auch im Bund: „Wo es Lücken im Baurecht gibt, nutzen wir diese“, so Wolf. Und mit Blick in die Zukunft sagt er: „Es sollte eher unkomplizierter werden.“

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