John Hattie gilt als ein Pädagogik-Weltstar. Im Jahr 2008 veröffentlichte der neuseeländische Bildungsforscher das Buch „Visible Learning“ („Lernen sichtbar machen“). Es ging um: Was ist guter Unterricht? Dafür untersuchte er alle auf Englisch erschienenen Studien, die sich mit den Bedingungen schulischer Leistungen beschäftigt hatten. Am Montag, 22. September, geht es von 18 bis 20 Uhr in der Harmonie Heilbronn mit John Hattie um „Mit Visible Learning zum Lernerfolg“. Die Diskussion richtet sich an Lehrer, Rektoren und alle, die Bildungsprozesse gestalten und sich dafür interessieren. Eine Anmeldung ist laut AIM noch möglich.
„Manche Eltern reden mehr mit ihrem Hund als mit ihren Kindern“: Bildungsexperte John Hattie zu früher Bildung
John Hattie gilt als ein Pädagogik-Weltstar. Im Jahr 2008 veröffentlichte der neuseeländische Bildungsforscher das Buch „Visible Learning“ („Lernen sichtbar machen“). Es ging um die Frage, was guten Unterricht ausmacht. Nun ist er innerhalb eines Jahres zum zweiten Mal in Heilbronn, erneut auf Einladung der Akademie für Innovative Bildung und Management (AIM).

Der Neuseeländer John Hattie ist einer der renommiertesten Bildungsforscher, weltweit ist er gefragt. Wie Lernen sichtbar werden kann, damit hat er sich beschäftigt und gezeigt, wie entscheidend dabei die Haltung der Lehrer ist, die Kinder zu motivieren. Auch mit früher Bildung beschäftigt er sich, unter anderem am Dienstag in Heilbronn bei einer Fortbildung für Kitas.
Bei Leistungsvergleichen wie Pisa schneiden Schüler in Deutschland schlecht ab. Jetzt legt die Politik den Schwerpunkt auf die frühe Bildung, damit die Kinder eine erfolgreiche Schulzeit haben. Was brauchen die Mädchen und Jungen, wenn sie klein sind?
John Hattie: Für eine sehr berühmte Studie zählte man die Wörter, mit denen ein Fünfjähriger aus einer wohlhabenden Familie in Berührung gekommen ist im Vergleich zu einem Gleichaltrigen aus einer bildungsferneren Familie. Der Unterschied lag bei 30 Millionen Wörter. Kinder brauchen Sprache, Sprache und nochmals Sprache. In der frühen Kindheit dreht sich vieles ums Spielen. Wenn es aber keine Sprache hat, will ich es nicht.
Warum?
Hattie: Spiel ist ein Mechanismus. Warum wollen wir, dass Eltern ihren Kindern vorlesen? Weil es die Sprache erweitert – im Vergleich zu der Sprache, die man normalerweise zu Hause hat. In Kindertagesstätten sollte man auf die Sprache achten: Wird dort wenig gesprochen, dann schicken Sie Ihr Kind nicht hin. Manche Eltern reden mehr mit ihrem Hund als mit ihren Kindern. Das ist nicht im besten Interesse der Kinder. Selbst Eltern, die Schwierigkeiten haben, ein Buch zu lesen, finden Wege, die Sprache des Kindes zu erweitern.
Woran denken Sie?
Hattie: Wenn sie die Straße entlanggehen, reden sie über die Vögel und all die verschiedenen Dinge. Denken Sie an Kinder, die in Buggys nach vorn gerichtet sitzen. Sie sind passiv, es passiert nichts, es ist wie fernsehen. Viel besser ist es, wenn Kinder den Eltern zugewandt sind. Im Alter von zwei bis vier Jahren fangen Kinder an, eine Theorie ihrer Welt zu entwickeln, und sie wollen verstehen, wie sie funktioniert. Da müssen wir ihnen beibringen, sich nicht ablenken zu lassen.
Was steckt dahinter?
Hattie: Das ist eine enorm wichtige Fähigkeit. Wir müssen Kinder in die Lage versetzen, ein paar Ideen aufzugreifen und diese Ideen zu verbinden. Und all das geschieht in diesen frühen Jahren. Neuere Forschungen zeigen, dass aber alle Gewinne, die bis zum Alter von fünf Jahren erzielt wurden, zwischen fünf und acht Jahren wieder verloren gehen können.
Warum?
Hattie: Schulen verlangen Gehorsam. Schulen bringen die Kinder dazu, nicht mehr nach dem Warum zu fragen, sondern nach dem Was. Wir stellen fest, dass Gehorsam in vielen Schulen überstrapaziert wird und einige der frühen Vorteile zunichte machen. Aber Kinder, die es von vornherein nie hatten, holen nicht auf.
Viele Kindergärten haben viele Angebote, und die Kinder suchen sich das Passende aus. Widerspricht das Ihrer Idee, dass man nicht zu viel Ablenkung um sich haben sollte?
Hattie: Das glaube ich nicht. Man nennt das innovative Lernumgebungen. Man sollte Kinder verschiedenen Umgebungen aussetzen. Das ist die Welt, in der sie leben werden. Wir wollen sie nicht die ganze Zeit überbehüten. Wir müssen kleinen Kindern beibringen, mit Verwirrung umzugehen, wie sie mit für sie beunruhigenden Situationen umgehen.
Worauf kommt es in Kindergärten an?
Hattie: Wir brauchen Erwachsene, die helfen, die Sprache der Kinder zu erweitern. Wir müssen Mädchen und Jungen dazu bringen, sich mit Büchern zu beschäftigen, sogar mit dem Fernsehen, um die Sprache zu erweitern. Auch müssen wir ihnen beibringen, in Gruppen zu arbeiten.
Sie sind nun in einem Jahr zum zweiten Mal in Heilbronn. Was fasziniert Sie an der Region?
Hattie: Ich bin beeindruckt. Es gibt nicht viele Universitäten, an denen sich zwei Institutionen eine Bibliothek teilen. Das klingt nach einer trivialen Bemerkung, aber das passiert nicht sehr oft. Ich möchte das KI-Zentrum wieder besuchen und sehen, wie es wächst. Künstliche Intelligenz ist die größte Veränderung in meinem Leben, und sie hat bemerkenswert negative Auswirkungen und bemerkenswert positive Auswirkungen. Ich bedauere, dass wir vor zehn Jahren nie eine robuste Diskussion über Leitplanken für soziale Medien geführt haben. Heute zahlen wir einen schrecklichen Preis dafür.