Polizistenmord: Geheimdienst war in Heilbronn
Heilbronn - Am Tag des Mordes an Polizistin Michèle Kiesewetter auf der Heilbronner Theresienwiese gab es doch eine Aktion des Landesverfassungsschutzes in Heilbronn.
Heilbronn - Am Tag des Mordes an Polizistin Michèle Kiesewetter auf der Heilbronner Theresienwiese gab es doch eine Aktion des Landesverfassungsschutzes in Heilbronn. Ein Mitarbeiter war in der Neckarstadt, geht aus vertraulichen Dokumenten hervor, die unserer Zeitung vorliegen. Nach denen habe sich der Geheimdienstler an jenem 25. April 2007 mit einem Islamisten treffen wollen, um diesen als Informanten für den Dienst zu gewinnen.
Ein neues Puzzleteil im noch immer verworrenen Komplex um den Mord an der jungen Polizistin tritt damit zu Tage, und wie so oft gibt es einige Ungereimtheiten. Vor zwei Jahren hatte das Nachrichtenmagazin "Stern" berichtet, Geheimdienstmitarbeiter des baden-württembergischen Landesamtes und des US-Militärgeheimdienstes hätten während einer Observation in Heilbronn den Mord an der Polizistin beobachtet. Das hatte das Innenministerium dementiert: Weder hätten Verfassungsschützer an dem Tag an einer "in Heilbronn durchgeführten Observation" teilgenommen noch seien sie Zeugen des Mordes gewesen.
Widersprüche
Zu der Anwerbeoperation gibt es indes mehrere, sich widersprechende Versionen: Offiziell bestätigte Verfassungsschutzpräsidentin Beate Bube, dass das Werben einer Zielperson aus dem Bereich Islamismus gegolten habe. Mitarbeiter sprechen inoffiziell von einem Mann aus Ulm/Neu-Ulm, der aus der dortigen Szene habe berichten sollen. Dem widersprechen Kollegen. Sie beharren darauf, dass es sich um einen Anwerbeversuch einer "hochrangigen Zielperson aus dem Bereich des Rechtsextremismus" gehandelt habe. Rechte? Für die Generalbundesanwaltschaft sind die Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eindeutig die Täter von der Theresienwiese.
Eine Kontaktperson eigens umständlich aus Ulm nach Heilbronn reisen zu lassen, sei "dienst- und lebensfremd", geben Geheimdienstmitarbeiter zu bedenken. Zudem habe das Thema islamischer Extremismus im Raum Heilbronn-Ludwigsburg seinerzeit gar keine Rolle gespielt, betonen die Mitarbeiter.
Fahrtenbuch
Eine Referatsleiterin des Amtes und der frühere Präsident hatten vor dem NSU-Untersuchungsausschuss ausgesagt, im Raum Ludwigsburg/Heilbronn sei es für den Dienst sehr schwer gewesen, Zugang in die rechtsextreme Szene zu bekommen.
Armin Schuster (CDU) ist Polizeidirektor außer Dienst und Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss. Ihm kam die Geheimdienstaktion fragwürdig vor. "Das Einzige, an das Sie sich erinnern können, ist dieser vermeintliche Werber, der an dem Tag um 15 Uhr von Stuttgart nach Heilbronn gefahren sein will?", fragte er den früheren Landesamtspräsidenten Johannes Schmalzl. Der Mord geschah um 14 Uhr. Laut einem Fahrtenbuch soll die Abfahrt um 15 Uhr belegt sein. Nach Schmalzls Aussage soll der Mann am Tattag auf dem Rückweg in den intensiven Polizeikontrollen in Heilbronn im Stau gestanden haben.
Objektiv ist die Anwerbeaktion der Verfassungsschützer nicht mehr nachvollziehbar. Die angelegte Akte wurde offenbar im Frühsommer 2012 vernichtet. Dies sei bei "niederschwelligen Aktenvorgängen" nach fünf Jahren üblich, ist die Erklärung.
Hintergrund: Treffen offenbar geplatzt
Im Abschlussbericht des NSU-Ausschusses ist die Fahrt des Verfassungsschutzmitarbeiters nach Heilbronn am 25.4.2007 erwähnt. „Der Mitarbeiter sei sich sehr sicher, dass es zu dem Treffen mit der Zielperson nicht gekommen sei“, heißt es. Er habe bei der Anfahrt bereits Einsatzkräfte der Polizei wahrgenommen. Eine detaillierte Rekonstruktion sei nicht mehr möglich. cf