Hier lernen neue Stadtbahnführer das Fahren
In Karlsruhe übt der Lokführernachwuchs in einem Simulator. Mit der Ausbildungsoffensive will die AVG auch ihre Verspätungen und Ausfälle in den Griff bekommen - und so den ramponierten Ruf in der Region verbessern.

Jede Fahrt beginnt mit einem Befehl. Einem schriftlichen Befehl. Die Rede ist nicht von einer militärischen Spezialeinheit, sondern vom Fahrsimulator, in dem die AVG in Karlsruhe ihre Zugführer ausbildet. Nach einem festgelegten Schema informiert der Fahrdienstleiter (gespielt von Ausbildungschef Torsten Krüger) per Funk den Fahrschüler über die Strecke und deren Besonderheiten.
Die Stunden im Simulator gehören zur neunmonatigen Trainingszeit für angehende Triebwagenführer. Sie sind Mangelware, die AVG hat großen Bedarf. Weil Lokführer fehlen, fallen immer wieder Züge aus. Und das verärgert Pendler und Kommunalpolitiker gleichermaßen.
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Roman Liebscher hat im September vergangenen Jahres mit der Ausbildung begonnen. Er sitzt im Führerstand, große Monitore täuschen eine tatsächliche Fahrt vor. Es läuft alles glatt. Bis sein Zug ein defektes Rot-Signal erreicht. Er darf unter keinen Umständen weiterfahren. Liebscher kontaktiert die Leitstelle. Torsten Krämer erklärt, was zu tun ist, Liebscher muss alles aufschreiben und wiederholen.
Genau so würde es auch im Ernstfall ablaufen. Die Leitstelle hat den Überblick, kann Risiken minimieren, und der Lokführer schwarz auf weiß belegen, dass er sich korrekt verhalten hat. Das Verfahren wirkt ungemein bürokratisch, dient aber der Sicherheit. Roman Liebscher macht alles richtig, wird von den Ausbildern gelobt. "Ich bin Quereinsteiger", meint der Fahrschüler. Er ist sicher: "Dieser Beruf macht viel Spaß." Auch, weil man viel mit Menschen zu tun habe.
Der Ruf ist beschädigt
Der Ruf der Stadtbahn in der Region Heilbronn ist ramponiert. Weil Verspätungen Pendler nerven. Weil immer wieder ganze Züge ausfallen. Hauptproblem: Fehlendes Personal. Die AVG arbeitet auf der S4 von Karlsruhe nach Öhringen mit der Deutschen Bahn zusammen. Und der laufen die Lokführer weg − weil ab 2019 andere Unternehmen das Stuttgarter Netz bedienen und deshalb die Perspektive fehlt. Die AVG hilft mit eigenen Leuten, die dann an anderer Stelle fehlen. "Wir stehen mit der gesamten Wirtschaft in großer Konkurrenz um Arbeitskräfte", sagt AVG-Sprecher Nicolas Lutterbach. 350 Lokführer seien im Einsatz, aber das reicht nicht. 20 bis 30 mehr müssten es schon sein.
Deshalb hat die AVG ihre Bemühungen verstärkt, Personal zu gewinnen. Poster in Stadtbahnen. Anzeigen auf Web-Seiten. Präsenz bei Jobbörsen. Vor allem setzt das Unternehmen auf die eigene Ausbildung. Die Kapazitäten wurden erweitert, mit Heilbronn ist ein weiterer Standort dazugekommen. Sieben Kurse mit je zwölf Plätzen stehen zur Verfügung. Nicht immer sind die Kurse ausgebucht.
Welche Voraussetzungen müssen Interessenten erfüllen? Lutterbach: "Die Bewerber müssen mindestens 21 Jahre alt sein, einen Kfz-Führerschein besitzen, gut Deutsch sprechen und eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen können." Die Fachrichtung ist nicht entscheidend, der AVG geht es darum, dass die potenziellen Stadtbahnfahrer eine gewisse Reife mitbringen. Um Interessenten direkt nach der Schule binden zu können, bietet die AVG inzwischen die Berufsausbildung zum Eisenbahner im Betriebsdienst an.
Zum Start kommt der Theorieblock
Torsten Krämer schätzt seinen Beruf. Er sitzt gern im Führerstand, er gibt sein Wissen auch gerne weiter. Die Ausbildungsinhalte könnte er im Schlaf referieren. Den Auftakt macht eine 21-tägige Grundausbildung. Wie funktionieren die Bremsen? Welche Bedeutung haben die einzelnen Signale? Wer dieser ersten die zweite Etappe folgen lassen will, muss eine Zwischenprüfung bestehen. Die Ergebnisse fallen unterschiedlich aus. "Mal kommen alle durch, mal schaffen es einige nicht", sagt Krüger. Weiter geht es mit dem Regelbetrieb. Viel anspruchsvoller sind natürlich Situationen, in denen die Lokführer unerwartete Probleme lösen müssen − das ist ein zentraler Ausbildungsinhalt. Neben der Theorie steht die Praxis. Im Simulator oder auf der Strecke.
Am Ende haben die Fahrschüler erneut eine Prüfung zu bewältigen. Auch hier gibt es Kurse, die komplett durchkommen. Krügers Schützlinge sind bunt gemischt: ab 21, auch mal an die 60 Jahre alt, ganz unterschiedliche Vorbildungen. Wichtig ist Krüger, dass die Männer und Frauen mit Spaß bei der Sache, zuverlässig und verantwortungsbewusst sind. Schließlich liegt das Schicksal der Fahrgäste in ihren Händen.

Im Ausbildungszentrum der AVG gibt es niemanden, der nicht von den Reizen des Berufs schwärmt. Obwohl es natürlich auch Erschwernisse gibt: Schichtdienst, unangenehme Fahrgäste, Dienst an Wochenenden und Feiertagen, von den schrecklichen Erfahrungen bei Suiziden ganz abgesehen. Gibt es Möglichkeiten, den Job attraktiver zu machen? Torsten Krüger denkt nach. "Am Gehalt könnte man ansetzen", meint er.
Stadtbahnfahrer verdienten zwar nicht schlecht, aber natürlich wäre ein höheres Einkommen ein gutes Argument im Wettbewerb der Unternehmen. Das Einstiegsgehalt beziffert Krüger auf 2800 bis 3000 Euro. Dann geht es in Stufen aufwärts. "Die betriebliche Altersversorgung ist allerdings sehr gut", sagt der Ausbilder. Für Roman Liebscher ist ein weiterer Aspekt wichtig: "Ich habe einen krisensicheren Job gesucht."