Ohne Volksfest hängen Schausteller in der Luft
Das Heilbronner Volksfest auf der Theresienwiese fällt wegen Corona flach. Am Freitag wäre Fassanstich. Festwirt Karl Maier und seine Schausteller-Kollegen pochen lauthals auf Lockerungen.
Thea Kinzler blutet das Herz. "Ja, das ist traurig, für uns und für unsere Besucher." Seit sie laufen kann, ist die heute 86-Jährige auf Jahrmärkten unterwegs. Ihr "Musik Express" gehört zu den absoluten Festplatz-Klassikern. Von Freitag an hätte die Grand Dame einer großen Schaustellerdynastie wieder Abend für Abend im Kassenhäuschen gesessen und ihre helle Freude am Lichterglanz und Trubel gehabt. Doch dieses Corona-Jahr ist alles anders. Auch auf der Theresienwiese.
Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg bleibt der Festplatz zu Beginn der Sommerferien leer. Das Heilbronner Volksfest fällt wegen Corona flach. Bis 31. Oktober sind Großveranstaltungen verboten.
Festwirt spricht von Berufsverbot

Karl Maier, dessen Familienunternehmen Göckelesmaier den mit bis zu 250.000 Besuchern und 100 Schaustellern größten Rummel der Region seit 1955 Jahren organisiert, ist wütend. Er spricht von "Berufsverbot". "Flohmärkte, Wochenmärkte, Biergärten, Freizeitparks - vieles geht wieder, nur uns lässt man nicht. Das ist ungerecht." Ähnlich sieht es Karl Müller, Chef des Kischtleshocker-Stammtischs der Schausteller, der heuer auf der Theresienwiese sein 50-jähriges Bestehen feiern wollte.
Mit 1600 Kollegen sind Müller, Maier, Kinzler & Co. vor einer Woche durch Stuttgart gezogen, haben den Verkehr blockiert und lauthals Lockerungen gefordert. "Wenn sich nichts tut, werden die Kollegen härtere Formen des Protests wählen", prophezeit Müller. "In Stuttgart waren die Gemäßigten, aber es gibt auch andere, die schon an Barrikaden in Großstädten denken und Kollegen aus Holland holen wollen."
Staatshilfen bisher nur Tropfen auf heißen Stein
Während Göckelesmaier-Mitarbeiter nach dem Shutdown im März den bereits fürs Frühlingsfest bestückten Cannstatter Wasen geräumt und danach über Wochen das Lager auf Vordermann gebracht hatten, sind inzwischen zehn fest Angestellte in Kurzarbeit. 35 Saisonarbeiter müssen sich anderweitig umschauen. Maier habe bereits einen KfW-Kredit in Anspruch nehmen müssen.
Kollegen, die weniger gut gesattelt sind, bekämen nicht so leicht Finanzhilfen. Und die staatlichen Soforthilfen von 9000, 15.000 oder 30.000 Euro? Maier und Müller sprechen, je nach Betriebsgröße, vom Tropfen auf den heißen Stein.
Planung für 2021 geht ins Blaue
Hoffnung setzen alle auf ein angekündigtes Hilfspaket von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut - und auf die Weihnachtsmärkte. "Das wäre zumindest ein kleiner Rettungsanker", sagt Müller. Wie es im Sommer 2021 aussieht? "Keine Ahnung", sagt Festwirt Maier. Trotzdem müsse er Ende 2020 mit der Planung und Ausschreibung für die neue Festsaison beginnen. "Ins Blaue hinein. Wir hängen alle völlig in der Luft."

Joachim Kritz, der mit seinen Karussells früher 25 Festplätze und zuletzt noch die Hälfte bespielte, will nicht länger Däumchen drehen. "Zuletzt haben wir uns auf Weihnachtsmärkte verlagert. Aber auch da sieht es duster aus." Zum Glück sei er mit seinen 63 Jahren "abgesichert. Ich habe vorgesorgt, aber was wird mit dem Nachwuchs?" Kritz schätzt, dass 30 bis 40 Prozent der 5000 deutschen Schausteller-Betriebe mit über 30.000 Beschäftigten im Herbst Insolvenz anmelden müssen. So gerate "die Marke Volksfest" weiter in Schieflage.
"Diese Mischung aus Unterhaltung, Kommunikation, Genuss, Musik, Humor, Spektakel, Freude: Das ist einmalig. Sonst gibt"s das nur in Einzelteilen", betont Kritz. Er und seine Kollegen fürchten einen nachhaltigen Schaden, weil viele Bürger durch Corona weniger Geld hätten, verunsichert seien und Massenevents wohl in Zukunft scheuen. Schon bastelt die Branche an Alternativ-Konzepten mit umzäunten Bereichen, weniger Betrieben - und ohne Bierzelt-Halligalli. "Es geht um unser Überleben, da darf nichts tabu sein", so Müller.
Kein Einkommen und trotzdem hohe Kosten

"Viele der Kollegen leben ja von der Hand in den Mund, haben seit Monaten null Einkommen und müssen trotzdem Miete, Steuern, Kredite und andere Kosten bestreiten", weiß die Heilbronnerin Heidi Silzer, deren Vater Walter nach dem Krieg die ersten Imbissstände beim Talmarkt, Pferdemarkt und natürlich auf der Theresienweise installierte.
Zum Glück habe die Familie als zweites Standbein einen festen Imbiss neben der Galeria Kaufhof. Wobei auch in der City nach dem Shutdown im Frühling jetzt im Sommer "noch längst kein normaler Alltag herrscht".



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