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Wie die Corona-Krise unsere Sprache verändert

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Mit Worten wie Spuckschutzscheibe, Durchseuchung oder Geisterspiel verändert sich unsere Sprache in der Corona-Krise. Dr. Annette Klosa-Kückelhaus vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim spricht über die Auswirkungen.

Wie wirkt sich die Corona-Krise auf unsere Sprache aus? Antworten gibt Dr. Annette Klosa-Kückelhaus vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim.

 

Frau Klosa-Kückelhaus, welcher Begriff stört Sie aktuell in der Corona-Zeit am meisten?

Annette Klosa-Kückelhaus: Ganz klar, die Spuckschutzscheibe. Das ist ein wirklich hässliches Wort, vom Klang aber auch von den Assoziationen, die man damit verbindet. Es ist ein nötiger Begriff, aber nicht unbedingt ein attraktives Wort.

 

Viel genutzt, auch und besonders in den Medien, sind Wörter, die durchweg negativ konnotiert sind, wie Corona-Hölle oder Durchseuchung. Welche Auswirkungen haben diese negativen Assoziationen auf Menschen?

Klosa-Kückelhaus: Das ist eigentlich eine psychologische Frage. Aber natürlich beeinflussen sie die Stimmung der Menschen. Es kann dazu führen, dass sie mehr Angst vor der Situation haben als sie eigentlich müssten, dass sie mehr Stress empfinden. In den Medien werden solche emotionalen Wörter bewusst gewählt, um bei Lesern bestimmte Reaktionen hervorzurufen.

 

Das gilt auch für Politiker. In Frankreich sprach Präsident Emmanuel Macron vom "unsichtbaren Feind" und verwendete mehrmals das Wort "Krieg". Warum diese Rhetorik?

Klosa-Kückelhaus: In Frankreich gibt es dafür wohl eine gewisse Tradition, die es in Deutschland in heutigen Zeiten nicht mehr gibt. Damit wird auf eine gewisse Solidarität unter den Menschen abgezielt, an eine gemeinsame Anstrengung, die nötig ist, appelliert. Macron hat das bewusst gemacht, um die Leute mitzunehmen. Angela Merkel hat dagegen eher an ein Wir-Gefühl appelliert und um Verständnis und Solidarität geworben. Es ist ein anderer Weg, aber mit dem gleichem Ziel: dass die Menschen die Maßnahmen der Politik akzeptieren, mittragen und umsetzen.

 

Ihr Institut in Mannheim sammelt Neologismen, also neue sprachliche Begriffe. Wie hat sich die Sprache durch die Corona-Krise verändert?

Klosa-Kückelhaus: Die Grammatik oder die Aussprache haben sich nicht verändert. Es ist aber erstaunlich, dass wir in einem kurzen Zeitraum relativ viele neue Wörter beobachten. Der Wortschatz wird bereichert durch Wörter, die Phänomene beschreiben, die wir vorher nicht kannten oder epidemiologische Fachwörter. Viele Wörter werden auch wieder häufiger verwendet als früher. Durchseuchung ist beispielsweise ein altes Wort, das jetzt wieder aktuell ist.

 

Einschneidende Erlebnisse wie die Wende, der 11. September 2001 oder eben die Corona-Krise prägen also massiv unseren Wortschatz.

Klosa-Kückelhaus: Ja, bestimmte Begriffe werden dann zentral. In der Zeit nach dem 11. September waren das Wörter wie Ground Zero, Terrorist oder Bedrohung. Diese Begriffe kennzeichnen das Ereignis, aber auch das gemeinsame Erleben der Menschen. Das Wort Rettungsschirm, das in der Corona-Krise wieder brandaktuell ist, stammt von einem anderen prägenden Ereignis, der Finanzkrise 2008.

 

Auch sperrige Begriffe wie Öffnungsdiskussionsorgien werden oft genutzt. Wünschen Sie sich einen sensibleren Umgang mit der Sprache?

Klosa-Kückelhaus: Die Menschen sind sich bewusst, dass mit bestimmten Begriffen bestimmte Dinge transportiert werden. Bei der Öffnungsdiskussionsorgie schwingt ja auch eine Kritik mit, dass zu viel über die Öffnungen diskutiert wurde. Das war sicher intendiert von Angela Merkel. Die Menschen versuchen, bewusst Wörter zu verwenden, die sie für die Situation angemessen halten.

 

Das gilt auch für Menschen, die im Moment bei sogenannten Hygiene-Demos auf die Straßen gehen.

Klosa-Kückelhaus: Auch da wird ein ganz bestimmtes Vokabular geprägt, das eine Meinung transportiert. Die Demo als Hygiene-Demo zu bezeichnen, ist im Grunde eine politische Aussage, denn man folgt den Hygiene-Regeln ja gerade nicht. Außerdem geht es den Veranstaltern solcher Demonstrationen vielleicht auch darum, ihrer Meinung nach falsche Ideen zu beseitigen und sozusagen eine "Kopf-Hygiene" zu erreichen.

 

Begriffe verändern sich also und Wörtern wie Maske kommt in Corona-Zeiten eine neue Bedeutung zu.

Klosa-Kückelhaus: Bei Maske dachten viele vorher an Karneval, an eine Maskierung oder an eine Pflege-Maske. Die spezielle Mundschutz-Bedeutung hat die Maske vorher nicht gehabt. Ähnliches gilt für den Begriff Geisterspiel im Sport. Vorher war es eine Bestrafung eines Teams, jetzt ist es, der Situation geschuldet, ein normales Spiel ohne Zuschauer.

 

Zum Abschied hört und liest man in Nachrichten, Telefonaten und Chats derzeit oft: Bleib gesund. Zugespitzt gefragt: Ist das eine neue Floskel?

Klosa-Kückelhaus: Wenn sich das verfestigt, schwächt sich die Bedeutung sicherlich ab. Es könnte sein, dass das zu einer Abschiedsformel verkommt, anstatt "Mit freundlichen Grüßen". Da denken die meisten nämlich gar nicht nach, ob sie es auch so meinen. Wenn ich "Bleib gesund" schreibe, dann nur an Menschen, denen ich das wirklich wünsche. Ich werde das ab jetzt aber verstärkt beobachten (lacht).

 

Zur Person

Dr. Annette Klosa-Kückelhaus ist Leiterin des Programmbereichs Lexikographie und Sprachdokumentation der Abteilung Lexik am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Sie hat Germanistik, Geschichte und Vor- und Frühgeschichte in Bamberg, Mainz und München studiert und war Redakteurin in der Dudenredaktion.

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