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Sanft rieselt der atomare Fallout: "An und Aus" im Stuttgarter Schauspielhaus

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Burkhard C. Kosminski inszeniert Roland Schimmelpfennigs "An und Aus" zum Spielzeitauftakt in Stuttgart: eine Groteske zur Reaktorkatastrophe in Fukushima 2011, die von sich wechselseitig betrügenden Paaren erzählt und von der großen Politik.

Ein Licht flackert, geht an, geht aus und wieder an − nichts ist mehr wie zuvor: Evgenia Dodina in Roland Schimmelpfennigs surrealer Fukushima-Parabel.
Foto: Baumann
Ein Licht flackert, geht an, geht aus und wieder an − nichts ist mehr wie zuvor: Evgenia Dodina in Roland Schimmelpfennigs surrealer Fukushima-Parabel. Foto: Baumann  Foto: Julian Baumann

Drei Paare betrügen sich wechselseitig in einem kleinen Hotel, ohne voneinander zu wissen. Ein Licht flackert, geht an, geht aus. Geht wieder an in den drei Zimmern, und nichts ist mehr wie zuvor.

Frau Z. sieht sich mit zwei Köpfen im Spiegel, Herrn A. fehlt der Mund, Frau A. ist komplett unbeweglich, Herr Y. leidet unter brennendem Herzen. Frau Y. ist in eine Motte verwandelt, Herr Z. in einen toten Fisch. Roland Schimmelpfennig, der wohl meistgespielte Gegenwartsdramatiker Deutschlands, dessen Stücke in über 40 Ländern aufgeführt werden, hat das surreale Bühnenstück "An und Aus" kurz nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima geschrieben, eine Auftragsarbeit für das Nationaltheater in Tokio.

Umwelt als brennendes Gegenwartsthema

2016 hat es Burkhard C. Kosminski in Mannheim als deutsche Erstaufführung inszeniert, jetzt hatte es in Stuttgart Premiere, einen Tag nach der Uraufführung von "Ökozid" von Andres Veiel, die ebenfalls Intendant Kosminski auf die Bühne brachte. Das Thema Umwelt als brennendes Gegenwartsthema ist Schwerpunkt des Spielzeitauftakts am Stuttgarter Schauspiel.

Während Veiel mit Fakten arbeitet, verzichtet Schimmelpfennig grundsätzlich auf das Dokumentarische. Seine Figuren spielen mit rätselhaften Andeutungen. Die Katastrophe vom 11. März 2011 wird im Text kein einziges Mal erwähnt - und genau das ist die reizvolle Ambivalenz von "An und Aus". Auf der Bühne allerdings lässt Kosminski sicherheitshalber Frau Z. (Katharina Hauter) das Datum und die Buchstaben F u k u s h i m a auf eine papierne Wand schreiben, als wolle er klarstellen, dass es sich hier weniger um eine Sexkomödie handelt, denn um ein groteskes Märchen, das von der großen Politik erzählt.

Sicher nicht Schimmelpfennigs stärkstes Stück

Von dieser großen Politik spricht Schimmelpfennig aber nur indirekt. "An und Aus" ist ein poetisches Vexierspiel, aber sicher nicht sein stärkstes Stück. Die Grundidee trägt keine 85 Minuten, die Figuren bleiben letztlich flach.

Umso charmanter gerät dennoch das Spiel des Ensembles auf der bezaubernden Bühne (Florian Etti), die mit einfachen Mitteln Fantasieräume schafft. Durch Trommeln auf Papier ertönen Regentropfen, aus den Papierbahnen werden die Zimmer für den jeweiligen Seitensprung geschnitten. Nur der junge Mann an der Rezeption weiß um die Montagsaffären. Herr A. (Michael Stiller) in Zimmer 1 schläft danach immer ein, das Paar in Zimmer 2 (Evgenia Dodina, Gábor Biedermann) hat es stets sehr eilig. Frau Y. (Therese Dörr) und Herr Z. (Sebastian Röhrle) sprechen so gut wie nie miteinander.

Feine Metaphern

Die bizarren Mutationen ihrer Körper bleiben für die anderen unsichtbar, wie auch die Folgen einer Nuklearkatastrophe nicht unmittelbar sichtbar sind. Eine feine Metapher, wie insgesamt der Abend von Anspielungen, Slapsticks, dem klimpernden Klavierspiel vom Mädchen mit dem Fahrrad (Anne-Marie Lux) lebt. Und von mit lakonischer Selbstvergessenheit vorgetragenen Reflexionen der Figuren. Berührend, mit welch ungläubigem Entsetzen Dodina als lebenshungrige Frau A. ihren abrupten Alterungsprozess wahrnimmt. Während sanft der atomare Fallout auf die Bühne rieselt.

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