Genies und Sonderlinge: Eine Tagung zu Hölderlin und Kleist im Literaturhaus Heilbronn
An drei Tagen diskutieren Literaturwissenschaftler aus Deutschland, Basel und London über die beiden großen Unverstandenen der Literatur um 1800, denen auf Erden nicht zu helfen war. Und über Hölderlins und Kleist Erfahrung des verlorenen Paradieses.

Was, wenn die beiden großen Unverstandenen der Literatur der Umbruchzeit um 1800 einander getroffen hätten: Wären Friedrich Hölderlin und Heinrich von Kleist ins Gespräch gekommen? Hätten die beiden Außenseiter die Chance einer Kommunikation ergriffen? Oder wortkarg aneinander vorbeigeredet, jeder für sich?
Seit Donnerstag widmet sich eine internationale Tagung im Heilbronner Literaturhaus am Trappensee dem 1770 in Lauffen geborenen Sohn eines schwäbischen Klosterverwalters und dem 1777 in Frankfurt/Oder geborenen Spross eines preußischen Offiziers und dem, was den Sänger des Elysiums Hölderlin und den Katastrophendichter Kleist trennt und verbindet.
Eine hybride Veranstaltung
"Seit ein Gespräch wir sind", so der Tagungstitel nach einem Hölderlin-Vers, bringt neun Literaturwissenschaftler und eine -wissenschaftlerin an einen Tisch. Zwei davon nehmen virtuell teil, wie auch interessierte Literaturfreunde: eine hybride Veranstaltung, die nur manchmal mit den Tücken der Technik kämpft.
Dass beiden auf Erden nicht zu helfen war, eint sie. Auch, dass sie kritisch und quer zu ihrer Zeit standen und doch oder gerade darin Avantgarde waren. Über zeit- und lebensgeschichtliche Brüche bei Kleist und Hölderlin referiert Professor Manfred Koch (Basel) und relativiert Karl Heinz Bohrers Zuschreibung, Kleist habe die Diskontinuität als eigentliche Bestimmung des Menschen entdeckt. Während Hölderlins Geschichtsbild auf die Versöhnung der Gegensätze ausgerichtet sei. Koch plädiert im Umkehrschluss dafür, die Diskontinuität bei Hölderlin und die Kontinuität bei Kleist stärker zu betonen.
"Das Briefschreiben ist zwar immer nur ein Notbehelf"
"Figurationen des Ichs" in den Briefen der beiden Dichter untersucht Inka Kording (Flein). Sie verdeutlicht die Wechselwirkung zwischen Ausdruck eines Selbst im Brief und dem Ich-Bild - und erinnert daran, was der 24-jährige Hölderlin an Hegel schrieb: "Das Briefschreiben ist zwar immer nur ein Notbehelf; aber doch etwas."
In seinem Essay "Archipele der Sprache: Friedrich Hölderlin und Heinrich von Kleist im Gespräch" spekuliert Professor Rüdiger Görner (London) über eine fiktive Begegnung der beiden Entwurzelten in der Antikensammlung im Pariser Louvre 1802, bei leisen Monologen über Ästhetik, die sich kreuzen. Görner kann sich Kleist als Leser des "Hyperion" vorstellen.
Leiden an Goethe
"Aber hätte umgekehrt Hölderlin sich an ,Amphitryon" erfreut?" Worüber hätten sie sich unterhalten? Über Johann Gottfried Fichtes Aufforderung zur Selbstermächtigung? Über ihr Leiden an Goethe? Fichtes Diktum "das, dem nicht widerstrebt wird, ist kein Streben" hätten sicher beide unterschrieben.
"Die Wiederkehr des Sündenfalls und die Vertreibung moderner Literatur" macht Professor Walter Erhart (Bielefeld) an Kleists erstem Drama "Familie Schroffenstein" und Hölderlins Frühwerk fest. Für beide steht die Gedankenfigur des verlorenen Paradieses am Anfang ihres Werks: der Sturz in die Zivilisation. Aber auch die Ambivalenz der Freiheit, zwischen Gut und Böse zu wählen. Der Widerhall religiöser Fragen sei auch ein Signum der modernen Literatur, wenngleich säkular und nachmetaphysisch gedeutet.
In exzentrischen Bahnen
Wie sehr literarische Erzählmuster um 1800 von Johannes Keplers Entdeckung jener Gesetzmäßigkeiten beeinflusst war, nach denen sich Planeten um die Sonne bewegen, verdeutlich Professor Alexander Honold (Basel) an Kleists Dramen und an Hölderlins "Hyperion": Die Denkfigur der exzentrischen Bahn ist ein roter Faden in beider Werk.
Dass die Erhabenheit etwas bietet, das die Schönheit nicht bieten kann, spürten beide. Auch, dass das Unheimliche dem Erhabenen nahe steht. Wie bereits Kant und Schiller, so verdichtet Hölderlin vor allem die Erhabenheit der Natur und Kleist das Erhabene der politischen Herrschaft, wie Professor Rolf-Peter Janz (Berlin) mit Blick auf Hölderlins "Empedokles" und Kleists "Die Hermannsschlacht" verdeutlicht.
Nach einem Vortrag von Moritz Strohschneider (Tübingen) über Nationale Mythologie bei Hölderlin und Kleist und einem Beitrag von Adrian Robanus (Frankfurt/Oder) über den Einfluss Fichtes auf Hölderlin und Kleist am Freitagnachmittag sprechen am Samstag, 9.30 Uhr, Professor Justus Fetscher (Mannheim) zu "Fluss-Landschaft-Darstellungen bei Friedrich Hölderlin und Heinrich von Kleist" und um 10.15 Uhr Kay Wolfinger (München) über "KleistHölderlinFiktionen - Filme, Romane, Gestalten". Um 11 Uhr liest Katrin Seglitz aus ihrer Erzählung "Nuit Blanche". Zur Veranstaltung ist ein Tagungsband geplant.