Premiere des "Götz von Berlichingen" bei den Burgfestspielen Jagsthausen
Sewan Latchinian inszeniert Goethes Ritter-Drama mit viel Augenzwinkern und Musik. Dabei gerät die Gratwanderung zwischen ironischer Distanz und Überzeichnung zum Problem einer Regie, die mit pfiffigen Einfällen punktet.

Wie im 70. Jahr Funken schlagen aus Goethes Jugendwerk, von dem der Regisseur der Neuinszenierung sagt, es sei besser als sein Ruf? Sewan Latchinian kitzelt das Komische aus dem Ritter-Drama "Götz von Berlichingen" heraus. Das heißt: Er nimmt das Ringen um Freiheit, Willkür, Macht und Verrat zwar ernst, allerdings mit Augenzwinkern.
Zwischen Monty-Python-Klamauk - die britische Komikertruppe hatte in den 70ern ihre Blütezeit - und Pathos verortet Latchinian den "Götz" am Originalschauplatz. Inspiriert vom Genius loci, zitieren die wenigen Anbauten (Ausstattung: Stephan Fernau) die Burg. Wohl noch nie wurde so herzlich gelacht beim "Götz" in Jagsthausen.
Zweieinhalb Stunden dauert Latchinians "Götz"
Doch trotz mutiger Striche wird es nichts aus den angekündigten "unter zwei Stunden". Zweieinhalb dauert Latchinians "Götz", der erst schwer in die Gänge kommt, dann famos aufdreht, um erstaunlich fromm zu enden - obwohl der Regie erfrischend wenig heilig ist. Als munteres Ensemblespiel und musikalischste Inszenierung in 70 Jahren bleibt der Abend in Erinnerung.
Gut 30 Instrumente spielen Bernd Dölle, Uli Elsäßer und Hannes Schindler, die sich Wallahalla nennen und die Saiten zupfen, Trommelwirbel setzen und mit feinen Pizzicati für Atmosphäre sorgen. "Freiheit. Nur Freiheit. Droben bei dir", ruft Elisabeth kurz vor 23 Uhr in den Nachthimmel. Da ist ihr Götz bereits voll Pathos gestorben, ist seine eiserne Faust von der Balkonbrüstung herabgefallen und hat der widerspenstige Reichsritter die düstere Vision "Es kommen die Zeiten des Betrugs" ausgesprochen.
Ein Lebemann in Camouflage-Hosen

Pierre Sanoussi-Bliss verkörpert den Götz, der gefangen ist im Ehrenkodex der untergehenden, mittelalterlichen Welt und dabei sehr heutige Züge trägt. Ein Lebemann mit analytischem Blick, dem emotional immer wieder der Gaul durchgeht. In Dreadlocks - enden wird er mit kahlem Schädel statt mit Filzlocken - und in lässigen Camouflage-Hosen, tänzelt Sanoussi-Bliss souverän durch die Inszenierung.
Goethes Worten verleiht er Gewicht, mit ironischem Unterton, und empfiehlt sich als präziser Bühnenschauspieler und Komödiant. Dagegen bleiben Nuria Mundry als Elisabeth und Nadja Wünsche als Marie blass, auch wenn sie sich bemühen, keine Heimchen am Herd zu sein.
Elisabeth ist trinkfest und eine Verfechterin des Freiheitsgedankens, in Maries Armen stirbt Weislingen als geläuterter Opportunist. Christopher Krieg gibt Götz Jugendfreund als alerten Zeitgenossen, in seiner Skrupellosigkeit hat er von Adelheid gelernt. Ann-Cathrin Sudhoff spielt die schöne Frau zwischen Edelprostituierte und Witwe mit großartiger Kaltschnäuzigkeit. Ein kalkulierendes Biest, das weiß, wie frau Männer manipuliert.
Drei Mal sticht der Tod Adelheid in den Unterleib
Selber schuld, möchte man Weislingen und seinem Knappen Franz (Johan Richter) in deren Liebesblödigkeit zumurmeln. Adelheids Schicksal gerät bei Latchinian zur brachialen Männer-Rache-Fantasie: Drei Mal sticht ihr der Tod, der einer "Jedermann"-Inszenierung entsprungen scheint, in den Unterleib.
Wie bei Goethe kämpft Latchinians Götz auf verlorenem Posten, bleibt der Versuch, unabhängig zu sein und loyal gegenüber dem Kaiser eine Utopie. Die Welt ist ein Gefängnis. In diesem Gefängnis aber kann man es sich lustig einrichten.
Der sieche Kaiser Maximilian ertönt als Stimme vom Band (Gernot Hertel) aus einer Sänfte, huldvoll-matt winkt eine Hand aus dem Gestell. Sein Enkel Karl V., der bei Goethe nicht auftritt, steht als grelles Porträtbild mit ausgeprägter Habsburger-Unterlippe auf einer Staffelei in Adelheids Gemächern.
Mittelalter-TV live auf dem Heilbronner Marktplatz
Götz' Sohn Karl ist halb Mensch, halb Puppe, leider überzeichnet Felix Frenken, der auch den Liebetraut gibt, seine Rollen. Die Gratwanderung zwischen ironischer Distanz und Chargieren ist das Problem dieser Inszenierung, die dafür mit pfiffigen Regiegriffen punktet. Da berichtet vom Prozess gegen Götz der Kanal Mittelalter-TV vom Heilbronner Rathaus: ein sympathisch laienhafter Schwarz-Weiß-Film läuft in einem Fernsehgerät auf der Bühne und erinnert an die dänischen Dogma-Filme. Das Götz-Zitat lässt Sanoussi-Bliss vom Publikum skandieren, bevor er selbst zum "er kann mich im Arsche lecken" ansetzt.
Viel Premierenapplaus - in den mittleren Reihen sind einige Plätze unbesetzt - für das "Götz"-Team.
Der Hauptdarsteller
1962 in Ost-Berlin geboren, studierte Pierre Sanoussi-Bliss an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin und war Ensemblemitglied am Staatsschauspiel Dresden. Bundesweit bekannt wurde er als Kriminaloberkommissar Axel Richter in der ZDF-Serie "Der Alte", den er 18 Jahre spielte. Im Kino war er unteren anderem in Doris Dörries "Keiner liebt mich" zu sehen. Sanoussi-Bliss schreibt Drehbücher und führt Regie, 2016 folgte nach "Zurück auf Los!" sein zweiter abendfüllender Spielfilm "Weiber! - Schwestern teilen. Alles." . 2017 erschien sein Kinderbuch "Der Nix". Mit seinem Lebenspartner wohnt Pierre Sanoussi-Bliss in Berlin.