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Von Leonore Welzin HEILBRONN Kann man ein Elementarteilchen sticken? Jein! Dieses unfassbar schnelle Ding, nach einem seiner Entdecker Higgs-Boson genannt, kann nur als Simulation im Status des Zerfalls erfasst werden.

Von Leonore Welzin
Bettina Roth-Engelhardt und ihre jüngste Stickerei auf Leinwand: "Simulation des Zerfalls des Higgs-Bosons" über dem Altar der Wartbergkirche.
Foto: Welzin, Leonore
Bettina Roth-Engelhardt und ihre jüngste Stickerei auf Leinwand: "Simulation des Zerfalls des Higgs-Bosons" über dem Altar der Wartbergkirche. Foto: Welzin, Leonore  Foto: Welzin, Leonore

Von Leonore Welzin

HEILBRONN Kann man ein Elementarteilchen sticken? Jein! Dieses unfassbar schnelle Ding, nach einem seiner Entdecker Higgs-Boson genannt, kann nur als Simulation im Status des Zerfalls erfasst werden. Als Physiker 2012 in Genf jenes lang vermutete Teilchen nachweisen konnten, sorgte die Erfolgsmeldung weltweit für Schlagzeilen.

Eine Abbildung der simulierten Zerfallsreaktion im Teilchenbeschleuniger zieht Bettina Roth-Engelhardt in ihren Bann. Mit Nadel und Faden rückt sie dem Motiv Stich für Stich zu Leibe: Die Struktur aus teils konzentrischen, teils sich überschneidenden Kreisen und Spiralen passt genau in den Kontext ihrer Motiv-Sammlung aus Rädern, Rosetten und Labyrinthen, in denen sich spirituelle Erfahrung und holistische Weltanschauung zum Ornament verdichten.

Zwei Jahre lang hat Roth-Engelhardt daran gearbeitet. Jetzt hängt die "Simulation des Zerfalls des Higgs-Bosons" über dem Altar in der Wartbergkirche. Mit drei Metern Breite und knapp zwei Metern Höhe ist es in zentraler Position der Blickfänger der Ausstellung "Kreis-Metamorphosen in Weiß". Flankiert wird es von jeweils elf Kreis-Metamorphosen, schmale Hochformate, die dem eigentlichen Motiv viel Umfeld zur Entfaltung seiner Wirkung geben und es auf Augenhöhe des Betrachters platzieren. Das erweckt einen anthropomorphen Eindruck. Es ist, als trete man einer menschlichen Figur gegenüber, die, ganz in Weiß, etwas geistig Reines, Erhellendes aussagt oder darstellt.

Roth-Engelhardts Ausstellungskonzeption bezieht den Raum mit ein. Die Präsentation in der Zeltarchitektur der Wartbergkirche ist traditionell, die Dramaturgie jedoch unterstreicht die erzählerische Seite der Darstellungen. "Engel drehen die Räder des Universums" hängt unmittelbar rechts vom Higgs-Teilchen. Inspiriert von einer französischen Miniatur des 14. Jahrhunderts, hat "mich die Darstellung begeistert, sie zeigt, dass der Himmelsbewegung ein geistiges Prinzip zugrunde liegt".

Gegenüber würdigt die Künstlerin mit "Figura Mentis", "Figura Intellectus" und "Figura Amoris" das Universalgenie Giordano Bruno (1548-1600). Sein Postulat von der Unendlichkeit des Weltraums und der ewigen Dauer des Universums stellte die damals herrschende Meinung eines geozentrischen Weltbildes in Frage. Das wurde als Blasphemie mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen geahndet. Ein Fehlurteil, das erst nach 400 Jahren, im Millenniumsjahr 2000, von Papst Johannes Paul II. revidiert wird.

Sinnigerweise hängen diese drei Motive links vom Altar, respektive vom Higgs-Teilchen-Bild. "Das übermalen Sie aber nicht!", sorgt sich ein kunstsinniger Theologe. Auf die Weiß-Übermalung zu verzichten, wäre ein Paradigmenwechsel im Schaffen der Künstlerin und würde zum neu gewonnenen Weltverständnis der Physiker passen − die für die Entdeckung 2013 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden.

Öffnungszeiten

"Kreis-Metamorphosen in Weiß" in der Evangelischen Wartbergkirche Heilbronn, Schüblerstraße 8. Bis 30. Oktober; Öffnungszeiten 11.30 bis 16 Uhr.

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