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Großes Kino im bebenden Burghof

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Heinz Kreidls unkonventionelle Inszenierung des „Götz von Berlichingen“ bei den Burgfestspielen

Von Andreas Sommer
Podest, Baumruine, Showtreppe und die naturbelassene Burg: Hier stürmen und drängen sie wieder im „Götz von Berlichingen“.Foto: Burgfestspiele
Podest, Baumruine, Showtreppe und die naturbelassene Burg: Hier stürmen und drängen sie wieder im „Götz von Berlichingen“.Foto: Burgfestspiele

Jagsthausen - Links ein rundes Podest, in der Mitte eine vom Blitz getroffene Baumruine, die ein bisschen nach Jugendkunstschule aussieht und als Metapher für Zerstörung dient, rechts eine Showtreppe und dahinter das ungeschminkte, naturbelassene Gemäuer der Götzenburg. Vor dieser Kulisse (Bühne: A. Christian Steiof) spielt sich Heinz Kreidls unkonventionelle und temporeiche Neuinszenierung des Traditionsstücks „Götz von Berlichingen“ ab, die vom Premierenpublikum am Donnerstag in Jagsthausen heftig beklatscht wurde.

Der 62-jährige gebürtige Tiroler Kreidl bringt gleich mehrere pfiffige Ideen in den Burghof. Das sehr jugendbewegte Goethe-Stück voller psychologischer Schwächen ist sprühend formlos. Es ignoriert fröhlich das klassische Dramenschema und erinnert im verwirrenden Wechsel der Szenen und Schauplätze an harte Filmschnitte. Kreidl lässt folgerichtig seine Inszenierung wie einen Film ablaufen, ohne jeden Stopp.

Eine Fläche für alle Der zweite Kunstgriff hat mit dem filmischen Ansatz zu tun: Kreidl beendet den jahrelangen Links-Rechts-Verkehr auf der Bühne (links Bamberger Hof, rechts Götzens Welt) und stellt allen Akteuren während der gesamten zweieinhalb Stunden Spieldauer die ganze Bühnenfläche zur Verfügung. Das führt zu vielen interessanten Simultanszenen: So sterben Weislingen und Adelheid von Walldorf fast parallel - er am Podest, sie auf der Treppe.

Zudem trägt der in Frankfurt lebende Regisseur der Tatsache Rechnung, das Goethe mit dem „Götz von Berlichingen“ 1774 erstmals in Deutschland ein Stück in Shakespearescher Manier gelungen ist. Als Hommage an Shakespeare hat er die Figur des Barfüßigen kreiert, aus der Barbara Krabbe eine wunderbar surreale Mischung aus Bänkelsänger, Dorftrottel und Orakel macht. Diese allegorische Figur ist eine Art roter Faden für Kreidls Inszenierung und eine Reminiszenz an Goethes Vorbild.

Großes Kino also im Burghof, wobei die Genres wechseln: Mal sehen wir einen Arthaus-Film voller alptraumhafter, poetischer oder surrealer Bilder, mal einen Heimatfilm mit schwülstiger Musik (der Soundtrack ist manchmal sehr gewöhnungsbedürftig), mal einen Kriegsfilm mit drastischen Sterbeszenen und allem, was die Pyrotechnik an Donner, Blitz und Rauch so hergibt. Wir sehen, wie Menschen ertrinken oder erstochen und erhängt werden und müssen Knalleffekte ertragen, dass man nicht nur ums eigene Trommelfell fürchtet, sondern auch um die ganze Burg.

An diesen Stellen driftet die Inszenierung in einen plumpen Naturalismus ab, der nicht so recht zu Kreidls Regie-Grundidee passen mag. Krieg ist kein Kinderspiel, sicher, aber ob ein Publikum, das durch grausame Bilder etwa aus dem Irak abgestumpft ist, diese Drastik braucht, sei dahingestellt. Dass Kreidl die Schrecken des Krieges auch zurückhaltender zeigen kann, beweist die Szene, in der die Toten mit dem Leiterwagen eingesammelt werden.

Bei diesem Regieansatz bleibt den Figuren relativ wenig Raum zur Profilierung. Der Hamburger Schauspieler Gerhard Garbers spielt den Götz eher leise als gebrochenen Ritter, der die neue Zeit nicht kapiert. Kreidl gewichtet viele Szenen neu, streicht (Abendmahl) und holt manche aus der Versenkung (Zigeuner). Dadurch ergeben sich auch neue Akzente in der Personenzeichnung. So ist Stefanie Büttners Marie bei weitem nicht so brav wie die Maries in früheren Inszenierungen.

Cay Helmichs biestige Adelheid lässt komödiantisches Talent aufblitzen. Ihr Ende auf der Showtreppe scheint von Alfred Hitchcocks „Frenzy“ inspiriert: Sie stirbt, nachdem sie sich heftig gewehrt hat, mit heraushängender Zunge.

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