Weitere Missbrauchsvorwürfe
Beilstein - In Einrichtungen der Spätregenmission ist es offenbar zu mehr Fällen von sexuellem Missbrauch gekommen als bislang bekannt.
Beilstein - In Einrichtungen der Spätregenmission ist es offenbar zu mehr Fällen von sexuellem Missbrauch gekommen als bislang bekannt. Nach Informationen der Heilbronner Stimme sollen Kinder in Glaubenshäusern in der Schweiz und in den Niederlanden missbraucht worden sein. Die Taten liegen den Recherchen zufolge etwa 20 Jahre zurück.
Betroffene Familien beklagen, dass auch diese Vorwürfe nicht aufgearbeitet worden sind. Der aktuelle Vorstand der Mission hatte bislang nur den Missbrauch im Glaubenshaus Libanon eingeräumt. Da Beilstein aber als Europazentrale fungiert, sei der Vorstand auch über die Anschuldigungen aus der Schweiz und den Niederlanden informiert worden.
Mädchen
Dieter P. (Name geändert) berichtet der Heilbronner Stimme von einem regelmäßigen sexuellen Missbrauch von mehreren Mädchen in einem Zeitraum von zwei Jahren. Eine Verwandte von ihm sei Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre im schweizerischen Glaubenshaus Silo in Densbüren zum Opfer geworden. Die Staatsanwaltschaft Aargau bestätigt auf Nachfrage, dass die Tat an mindestens einem Mädchen angezeigt worden ist. Allerdings zu spät. "Die angezeigten Taten waren verjährt," sagt Sprecherin Elisabeth Strebel.
Dieter P. ist sich ganz sicher, dass 2008 der Leiter der Mission in Beilstein informiert worden ist. Er gibt dem Führungspersonal eine Mitschuld, da Aufsichtspflichten verletzt worden seien. Sein Eindruck: Die Verantwortlichen hätten die Vorkommnisse unter den Teppich gekehrt. Der Täter sei damals etwa 17 Jahre alt gewesen.
Mehrere Quellen bestätigen der Stimme weitere Vorwürfe: Im Spätregen-Haus in den Niederlanden soll ein Mann mehrere Kinder missbraucht haben. Nach Informationen unserer Zeitung lebt der mutmaßliche Täter noch immer unter dem Dach eines Glaubenshauses. Auch über dieses Vergehen sei die Leitungsebene informiert worden.
Peter W. (Name geändert) hatte der Stimme vor drei Wochen geschildert, wie er und andere Jungen in den 70er Jahren im Beilsteiner Glaubenshaus Libanon sexuell missbraucht worden sind. Dies hat die Mission jahrzehntelang vertuscht. Der aktuelle Vorsitzende Martin Illig räumte auf Anfrage ein, dass intern zwar reagiert worden sei, die Vorwürfe aber nicht nach außen kommuniziert wurden. Eine Strafverfolgung war später nicht mehr möglich.
Und was sagt die Spätregenmission zu den Vorwürfen aus der Schweiz und den Niederlanden? Die Stimme wollte wissen, wann die Leitungsebene informiert wurde, was mit den Opfern, was mit den Tätern geschah. Die Glaubensgemeinschaft hat eine Anwaltskanzlei beauftragt, Presseanfragen zu bearbeiten. Die Antworten bleiben im Allgemeinen. Die Mission sei zutiefst erschüttert darüber, "dass jüngst einzelne Personen davon berichten, dass ihnen durch die Missionsarbeit Leid widerfahren sein soll".
Fachmann
Die Glaubensgemeinschaft werde etwaige Sachverhalte direkt an die Staatsanwaltschaft melden, soweit Täter oder Opfer "vermeintlichen Unrechts" in Deutschland leben. Parallel werde die Deutsche Spätregenmission in den kommenden Tagen einen externen Fachmann mit der Aufarbeitung des Unrechts beauftragen und ihm Zugang zu allen zur Verfügung stehenden Quellen verschaffen.
Ob in den kommenden Wochen weitere Missbrauchsvorwürfe bekannt werden, ist unklar. Der Kriminologe Professor Christian Pfeiffer weist in einem Aufsatz auf ein grundsätzliches Problem hin: Bei Sexualstraftaten sowohl gegenüber Kindern als auch Erwachsenen sei die Anzeigequote niedrig und die Dunkelziffer sehr hoch.