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Serap Güler: Die Erfolge der Integration nicht kleinreden

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Die CDU-Politikerin und NRW-Staatssekretärin für Integration würdigt das ehrenamtliche Engagement – dank dieser Hilfe habe die Gesellschaft die Aufgaben der vergangenen Jahre sehr gut meistern können.

von Hans-Jürgen Deglow
Serap Güler, Staatssekretärin für Integration in NRW, will in den Bundestag. Foto: dpa
Serap Güler, Staatssekretärin für Integration in NRW, will in den Bundestag. Foto: dpa

Im Interview spricht Serap Güler auch über ihre Bundestagskandidatur und den Wettstreit mit Karl Lauterbach, über die Notwendigkeit von Straßenwahlkampf – und warum sie es für richtig hält, dass die Union erst Mitte Juni ihr Wahlprogramm vorgelegen will. 

Frau Güler, die Pandemie ist eine große gesamtgesellschaftliche Herausforderung: Wie erleben Sie diese Krise in Ihrem eigenen Umfeld, welche Frage bewegt Sie besonders? 

Serap Güler: Ich wünsche mir vor allem, dass so viele Menschen wie möglich gesund durch diese Pandemie kommen. Für mein privates Umfeld kann ich sagen: Weder mein Mann noch ich, oder jemand aus dem engsten Freundes- und Familienkreis, haben sich bislang infiziert. Meine Eltern gehören aufgrund ihres Alters und Vorerkrankungen zu den Hochrisikogruppen, sie sind aber inzwischen geimpft.  Darüber bin ich sehr glücklich.  Wie viele andere Menschen finde ich aber den Mangel an direkter Begegnung sehr belastend. Gerade auch in meinem Amt als Staatssekretärin für Integration wünsche ich mir, dass bald wieder sehr viel mehr persönlicher Austausch möglich sein wird.  

Im Wahlkreis Leverkusen/Köln-Mülheim treten sie nun im Bundestagswahlkampf ausgerechnet gegen den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach an. Denken Sie, dass im Wahlkampf wieder über andere Themen geredet wird als Corona und die Folgen?

Güler: Unabhängig von meiner Kandidatur und meinem Gegenkandidaten würde ich mir das wirklich wünschen, wenn wir zumindest wieder intensiver über Zukunftsperspektiven reden würden: Die Menschen sind Corona-müde geworden, viele haben in dieser Krise ganz existenzielle Sorgen. Wenn es um die Bedürfnisse unserer Bürgerinnen und Bürger geht, sollten wir diese also nicht nur aus gesundheitspolitischer Sicht beleuchten. Die Bürger in meiner Heimat  erwarten Antworten auf ihre sozialen und wirtschaftlichen Probleme und benötigen mehr als nur einen Medizin-Fachmann.

Und über diese Probleme und mögliche Lösungen möchten Sie mit den Menschen wieder auf den Straßen diskutieren können? 

Güler: Ich hoffe sehr, dass wir bald die Corona-Lage so gut im Griff haben werden, dass Straßenwahlkampf mit persönlichen Begegnungen möglich sein wird. Der Wahlkampf findet am besten auf der Straße statt. Mit Diskussionen auf Marktplätzen, in Einkaufsstraßen, vor Haustüren. Ich halte nichts davon, einen Wahlkampf nur über Videokonferenzen oder andere digitale Formate zu führen. 

Es wird aber nicht einfach, das Direktmandat zu holen… 

Güler: Ich habe diese Herausforderung sehr gerne und zuversichtlich angenommen. Karl Lauterbach war in den vergangenen Monaten in sehr vielen Talkshows, das hat seinen Bekanntheitsgrad bundesweit enorm erhöht. Aber was ist mit den speziellen Sorgen und Nöten vor Ort? In meinem Stadtteil lag die Erwerbslosenquote schon vor der Pandemie bei 30 Prozent. Das ist infolge der Krise sicher nicht viel besser geworden. Hier leben sehr viele Menschen mit Wohnberechtigungsscheinen, befinden sich in einer sozial prekären Lage. Wer hier nur darüber redet, wie man den Kindern mehr Digitalunterricht ermöglicht, geht an der Lebenswirklichkeit vorbei. Mein Mann und ich leben in diesem Viertel in einer Wohnung, in der gleich geschnittenen Wohnung gegenüber lebt eine fünfköpfige Familie auf engem Raum – das ist die Lebenswirklichkeit, mit der diese Menschen umgehen müssen. 


Heißt das, als Bundespolitikerin wollen Sie künftig auch aus Berliner Perspektive die Themen soziale Ungleichheit und Aufstiegschancen besetzen? 

Güler: Das ist doch sogar unser Alleinstellungsmerkmal als Union, dass wir die soziale Perspektive immer mit einbeziehen in alle unsere Überlegungen. Deshalb müssen wir auch zusehen, wie wir unsere Wirtschaft stärken, damit sie leistungsfähig bleibt. Sie schafft Jobs, sorgt für Gewerbesteuern. Ein anderes großes Thema der nahen Zukunft ist es, Bildungsabstieg zu verhindern. Von der Corona-Krise sind Kinder und Jugendliche aus allen Schichten betroffen. Wir müssen darauf achten, dass niemand den Anschluss verliert. Das ist die Herausforderung der nächsten Wochen und Monate, um keine verlorene Generation zu bekommen. 


1963 kam ihr Vater als Bergmann nach Deutschland, ihre Mutter lernte er später kennen, sie kam 1978 nach Deutschland. Ihre Eltern haben dafür Sorge getragen, dass ihre Tochter alle Chancen nutzen kann, die die Gesellschaft bietet - beispielsweise durch intensives Erlernen der deutschen Sprache. Was kann man heute von der Integration der Familie Güler lernen?

Güler: Meine Mutter spricht sogar deutlich besseres Deutsch als mein Vater, obwohl sie später nach Deutschland kam. Er lernte die Sprache im Beruf, bruchstückweise, eben das, was man unter Tage braucht. Mutter - sie hat damals als Reinigungshilfe gearbeitet – hatte das große Glück, das sich eine deutsche Nachbarin im selben Haus enorm viel Zeit genommen hat, um uns bei der Integration und dem Erlernen der deutschen Sprache zu helfen. Davon habe ich sehr profitiert. Für ein solches ehrenamtliches Engagement muss man sehr dankbar sein. Mit Unterstützung der vielen ehrenamtlichen Helfer konnten wir auch die Aufgaben der vergangenen Jahre sehr gut meistern. Dass vor Beginn der Pandemie die Zahl der sozialpflichtigen Angestellten unter Flüchtlingen schon bei 30 Prozent lag, haben wir auch dem Einsatz unserer Mitbürger zu verdanken. Diesen Erfolg dürfen wir uns nicht kleinreden lassen.

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Menschen wandern zu, weil sie sich in Deutschland Arbeit und Wohlstand erhoffen – viele werden auch aktiv gerufen, als Facharbeiter oder als Pflegekräfte…

Güler: Von der Lebenslüge des Gastarbeiters, der wieder geht, hat sich unser Staat glücklicherweise verabschiedet. Die Menschen kommen in ein Einwanderungsland – aber sie gehen in den meisten Fällen nicht mehr, sie bleiben. Sie haben hier Familie gegründet, ihr privates Lebensumfeld, ihre Arbeit. Ihre Integration gelingt zweifellos besser, wenn der Staat bestimmte Förderangebote macht. Seit 2008 gibt es die Integrationskurse der Bundesagentur für Migration und Flüchtlinge  – aber auf solche Angebote hätte man auch 20, 30 Jahre früher kommen können.  Die große politische Herausforderung für die nächste Bundesregierung wird sein, die Frage der Kettenduldungen anzugehen – um den Betroffenen einen Perspektive zu geben. 


Was meinen Sie damit? 

Güler: Allein in NRW leben 70.000 Menschen in einem Duldungsstatus. Ihr Asylantrag wurde eigentlich abgelehnt. Aber aus diversen Gründen dürfen sie trotzdem nicht zurückgeführt werden: Weil das Heimatland eine Aufnahme verweigert, weil Papiere fehlen, oder aus gesundheitlichen Gründen. Die Duldung wird immer nur befristet  verlängert. In Essen beispielsweise gibt es eine Gemeinschaft von Menschen, die in den 80er Jahren als Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon gekommen ist. Inzwischen befindet sich sogar die dritte Generation in einem Duldungsstatus. Ich kenne junge Leute, die sprechen so gut Deutsch wie ich, sie haben eine hervorragende Ausbildung, aber sie bekommen keinen Job – weil sie den Duldungsstatus geerbt haben. Arbeitgeber fürchten eine Abschiebung. Was macht das mit den Betroffenen? Mehr Ermessungsspielräume bei der Erteilung eines Bleiberechtes wären im Sinne der Integration. 


In einem Porträt über Sie hieß es einmal: Integration mit weitem Herz, aber klaren Regeln. Eine zutreffende Charakterisierung ihrer Politik?

Güler: Ja, das trifft es sehr gut. Wir haben in NRW ein landesweites Programm kommunales Integrationsmanagement ins Leben gerufen. Vom Jobcenter bis zum Schulamt, alle sind in einem Team, das die Neuankömmlinge umfassend betreut und ihnen beim Ankommen hilft. So fördern wir die Integration. Ich muss aber als Staat auch etwas für mein Engagement verlangen können. Das ist nicht mehr und nicht weniger als die Einhaltung unserer Regeln und die Akzeptanz unserer Werte. 


Das Thema Integration wird sicher auch einen Platz im Wahlprogramm finden. Ist es sinnvoll, dass die Union so lange auf ihr Programm warten lässt?

Güler: Ich verstehe, dass die Neugierde groß ist. Wir haben uns aber aus guten Gründen an dem bisherigen Zeitplan gehalten und wollen bei einer gemeinsamen Klausur von CDU und CSU am 20. und 21. Juni das Unionswahlprogramm festlegen. Aus meiner Sicht ist diese enge inhaltliche Abstimmung richtig. Wir werden auf noch mehr aktuelle Entwicklungen reagieren und Erfahrungen aus der Pandemie aufnehmen können. Spätestens im Sommer wird sich der Blick der Menschen auch wieder viel mehr auf Inhalte und Lösungsansätze fokussieren.

 

Zur Person

Serap Güler wurde 1980 in Marl im nördlichen Ruhrgebiet geboren. Ihr Vater hat fast 40 Jahre als Bergmann unter Tage gearbeitet. Sie hat eine Hotellerie-Ausbildung absolviert, sowie Kommunikationswissenschaft und Germanistik studiert, bevor sie Referentin des damaligen NRW-Integrationsministers Armin Laschet wurde. Seit 2017 ist sie in NRW Staatssekretärin für Integration und Migration. Güler gilt als enge Vertraute Laschets. Nun kandidiert sie für Bundestag. Ihre Expertise war zuletzt bundesweit stark gefragt: Güler kämpft gegen Rassismus und Diskriminierung und wendet sich klar gegen Antisemitismus. Die 40-Jährige hatte sich auch für verstärktes Impfen in Stadteilen mit vielen Migranten eingesetzt – viele dieser Menschen hätten oft keine Möglichkeit, in Homeoffice-Jobs zu arbeiten. Mit ihren Attacken gegen die Bundestags-Kandidatur von Hans-Georg Maaßen stieß sie zuletzt ebenfalls eine Debatte an. Serap Güler ist seit 2012 Mitglied im CDU-Bundesvorstand und gilt als Kandidatin für Laschets Wahlkampfteam

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