Pflegeberufsverband: Impfkampagne ist noch nicht ausgereizt
Bernadette Klapper vom Berufsverband für Pflegeberufe mahnt: Aufklärung und niedrigschwellige Angebote sind weiterhin extrem wichtig, um die Impfbereitschaft zu erhöhen. Außerdem sollte man bei steigenden Infektionszahlen wieder über engmaschigere Testkonzepte nachdenken – am besten für Ungeimpfte und Geimpfte –, so könne man das Risiko für Ausbrüche in Einrichtungen deutlich senken.

Frau Dr. Klapper, mit Blick auf die sogenannte Pandemie der Ungeimpften: Wie ist die Stimmung unter den Pflegekräften?
Bernadette Klapper: Es liegen uns keine Zahlen vor, die ein belastbares Stimmungsbild in der Berufsgruppe hergeben. Wir nehmen auch wahr, dass es für viele Pflegefachpersonen unverständlich ist, warum Menschen die Impfung verweigern. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Kolleginnen und Kollegen es leid sind, diese Menschen zu versorgen. Es gehört zu unserem internationalen Ethikkodex, dass unsere berufliche Verantwortung darin liegt, die Menschen zu versorgen, die Pflege brauchen – völlig unabhängig davon, wer diese Menschen sind und warum sie Pflege benötigen.
Sollte die Politik aus Sicht Ihres Verbandes Maßnahmen ergreifen und wenn ja welche, um die Impfquote zu erhöhen?
Klapper: Wir sehen immer wieder, dass es noch an Aufklärung und niedrigschwelligen Impfangeboten fehlt. Impfangebote vor Ort, die spontan genutzt werden können, wirken offenbar sehr gut. Und die Anstrengungen, alle zielgruppengerecht zu informieren und aufzuklären, dürfen nicht nachlassen. Die Impfkampagne ist daher aus unserer Sicht noch nicht ausgereizt.
Im Landkreis Barnim in Brandenburg war in einem Pflegeheim offenkundig nur die Hälfte des Personals geimpft, es kam zu Todesfällen unter Heimbewohnern. Spricht das für eine Personal-Impfpflicht, oder zumindest eine Auskunftspflicht? - also, dass Patienten und Pflegebedürftige den Rechtsanspruch haben sollten, Auskunft zum Impfstatus des Pflegenden zu bekommen?
Klapper: Aus unserer Sicht ist eine Impfpflicht kontraproduktiv Eine Auskunftspflicht über den Serostatus (siehe: Info) gegenüber den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern gibt es bereits. Allerdings dürfte es kaum möglich sein, die ungeimpften Mitarbeitenden aus der direkten Versorgung zu nehmen, da die Personalsituation das nicht zulässt. Das große Problem liegt aus unserer Sicht in der schlechten Fachkraftquote und der mangelhaften Personalausstattung insgesamt. Wenn nicht genügend qualifiziertes Personal da ist, kann das auch Auswirkungen auf die Hygienemaßnahmen haben. Aufklärung und niedrigschwellige Angebote sind weiterhin extrem wichtig, um die Impfbereitschaft zu erhöhen. Außerdem sollte man bei steigenden Infektionszahlen wieder über engmaschigere Testkonzepte nachdenken – am besten für Ungeimpfte und Geimpfte –, so kann man das Risiko für Ausbrüche in Einrichtungen deutlich senken.
Liegen Ihnen Zahlen vor, wie viele Pflegekräfte aufgrund der zusätzlichen Belastungen in der Corona-Krise aufgegeben haben?
Klapper: Nein, die Datenlage ist hier in Deutschland leider sehr dürftig. Insgesamt rechnen wir aber damit, dass in der Folge der Pandemie aufgrund der dauerhaften Überlastung und der bislang ausbleibenden politischen Maßnahmen zur Verbesserung der beruflichen Rahmenbedingungen, noch viele Kolleginnen und Kollegen den Beruf verlassen werden. Unsere Umfrage vom Dezember 2020 ergab, dass rund 30 Prozent der Befragten über einen Berufsausstieg regelmäßig nachdenken.
Wie können Lücken in der Pflege geschlossen werden?
Klapper: Die neue Bundesregierung muss hier schnell handeln und vor allem für eine bessere Personalausstattung sorgen. Für den Bereich der Krankenhäuser heißt das, das Pflegepersonalbedarfsbemessungsinstrument PPR 2.0 als Interimslösung bis zum Einsatz der neu zu entwickelnden wissenschaftlichen Personalbemessung einzusetzen. In der Langzeitpflege muss die Umsetzung des Personalbemessungsinstruments beschleunigt werden. Um die nötigen Stellen besetzen zu können, müssen auch die Gehälter erhöht werden. Für die Qualifikation, Verantwortung und Belastung von Pflegefachpersonen ist ein Einstiegsgrundgehalt von 4000 Euro brutto angemessen. Außerdem brauchen wir Reformen in der Primärversorgung: Hier wird das Potenzial von Pflegefachpersonen nicht genutzt.
Das bedeutet?
Klapper: Konkret heißt das, durch Anpassungen im Berufsrecht sowie im Leistungs- und Leistungserbringungsrecht pflegerische Handlungsfelder wie Community Health Nursing oder Schulgesundheitspflege zu ermöglichen. Das macht einerseits den Beruf durch neue Karrierewege attraktiver, es sorgt aber vor allem dafür, dass die Bevölkerung eine bessere Gesundheitsversorgung erhält. Und die hochschulische Ausbildung muss gestärkt werden. Wir liegen hier in Deutschland Lichtjahre hinter der internationalen Entwicklung und das geht zu Lasten der Versorgungsqualität und der Attraktivität des Berufs.
Info
Unter Serostatus versteht man den Antikörperstatus - also die An- oder Abwesenheit spezifischer Antikörper im Blut.
Das Pflegepersonalbedarfsbemessungsinstrument, kurz PPR 2.0 genannt, hatten u.a. der Deutsche Pflegerat, die Gewerkschaft Verdi und die Deutsche Krankenhausgesellschaft auf den Weg gebracht. Mit der PPR 2.0 wird Pflegepersonal zielgerichtet eingesetzt, um die Versorgungsqualität zu sichern. Patienten werden mit Hilfe von PPR 2.0 täglich in je vier Grund- und Spezialpflege-Leistungsstufen eingeteilt. Jeder Stufe ist ein Minutenwert zugeordnet. Hinzu kommen Grund- und Fallwerte als Basis. In der Summe ergibt sich so ein Zeitwert pro Patient, der den Pflegepersonalbedarf abbildet. Der zusammengefasste Wert aller Patienten ergibt den Pflegepersonalbedarf des Hauses. Die PPR 2.0 berücksichtigt zudem aktuelle Entwicklungen in der Pflege. Außerdem wurde das Zeitintervall verändert: Als Nachtschicht gilt jetzt erst die Zeit zwischen 22 und 6 statt wie bisher ab 20 Uhr. Insgesamt ergab sich laut Deutscher Krankenhausgesellschaft in einer ersten Einschätzung eine durchschnittliche Steigerung des Pflegezeitbedarfs pro Patient um 8,1 Prozent gegenüber der alten PPR. Das Instrument soll als Interimslösung eingesetzt werden, bis das wissenschaftlich erarbeitete Personalbemessungsinstrument einsatzbereit ist, um schnell spürbare Entlastungen zu erreichen.
Community Health Nursing meint speziell qualifizierte Pflegefachkräfte. Sie führen Untersuchungen durch, beraten, managen Therapien oder begleiten Betroffene bei psychischen oder chronischen Erkrankungen.