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Fünf Jahre nach Anschlag: Einige Opfer erkennen ihr Trauma erst jetzt 

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Auf dem Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz starben bei einem islamistischen Anschlag 13 Menschen, zahlreiche wurden verletzt. Bianca Biwer, Bundesgeschäftsführerin des Weißen Rings, Deutschlands größter Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer, kritisiert den staatlichen Umgang mit den Opfern.

von Hans-Jürgen Deglow
Die Bundesgeschäftsführerin des deutschen Vereins zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern, Weißer Ring, Bianca Biwer. Foto: Weißer Ring/dpa
Die Bundesgeschäftsführerin des deutschen Vereins zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern, Weißer Ring, Bianca Biwer. Foto: Weißer Ring/dpa

Frau Biwer, was ist Ihre Bilanz aus Opfersicht, fünf Jahre nach dem Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz?

Bianca Biwer: „Der Anschlag vom Breitscheidplatz wirkt noch lange nach, die Opfer werden über viele weitere Jahre mit den Folgen zu kämpfen haben. Es laufen immer noch mühsame Prozesse vor allem im Bereich der Opferentschädigung, es gibt etliche Erwerbsunfähigkeiten von Betroffenen. Teilweise kommen sogar jetzt erst „neue“ Opferfälle zu uns – Menschen, die die ersten Jahre nach dem Anschlag vermeintlich gut mit der Situation zurechtkamen, dann irgendwann zusammengebrochen sind und beispielsweise erwerbsunfähig wurden. Sie haben das Trauma zunächst gar nicht erkannt.

 

Und wie steht es um die Trauerarbeit?

Biwer: Aus meiner Sicht ist es Deutschland nicht gelungen, um seine Opfer zu trauen. Da können wir von unseren europäischen Nachbarn noch viel lernen. Ein paar Beispiele: In Italien hat der Präsident die Angehörigen der in Berlin getöteten italienischen jungen Frau persönlich angerufen und seine Trauer ausgedrückt, ähnlich war es in Israel. In Frankreich wurde zeitnah nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in den Alpen ein Gedenkstein aufgestellt.

 


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Eine Schneise der Verwüstung ist auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin zu sehen, nachdem ein Attentäter mit einem Lastwagen auf den Platz gerast war. Zum fünften Jahrestag des Anschlags werden am Sonntagabend Bundespräsident Steinmeier, Bundestagspräsidentin Bas (SPD) und Berlins Regierender Bürgermeister Müller (SPD) erwartet. Bei einer Andacht in der Gedächtniskirche wollen Steinmeier und Müller kurze Reden halten; die Predigt kommt vom evangelischen Bischof Stäblein. Zugegen sind auch der katholische Erzbischof Koch, ein Rabbiner und ein Imam. (zu dpa «Vor fünf Jahren kam der Terror nach Berlin: Trauer und Verbitterung») Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Berlin
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Gedenken an die Opfer des Terroranschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt 


Was macht die Betreuung von Opfern im Fall des Anschlages auf den Weihnachtsmarkt noch speziell?

Biwer: Teilweise kommen Opfer auch jetzt erst aus der medizinischen Behandlung. Es ist ein Irrglaube, dass nach einem solchen Anschlag nur zu Beginn Hilfe notwendig sei. Gerade nach so einem Ereignis gewinnt die Langfristigkeit der Betreuung für die Opfer zunehmend an Bedeutung. Dann ist nämlich sonst niemand mehr da, und sie sind mit ihrer Not allein. Der Weiße Ring betreut viele Kriminalitätsopfer über Jahre – also auch dann noch, wenn in der Öffentlichkeit niemand mehr über die Tat spricht oder schreibt.

 

Wurde von staatlicher Seite genug getan, um diesen Menschen zu helfen?

Biwer: Nein. Es sind an unterschiedlicher Stelle beeindruckende behördliche Fehler gemacht worden. Das fängt an bei der Zusendung der Rechnungen aus der Forensik drei Tage nach der Tat, geht weiter über das kommentarlose Zusendung teilweise blutgetränkten Eigentums von Ermordeten an ihre Angehörigen und gipfelt in der behördlichen Abwicklung der Entschädigungsanträge. Da brauchte es Dutzende Seiten Papier, etliche Nachweise und immer wieder Gutachten, um Fragen zu beantworten, ob die Schäden tatsächlich auch durch die Tat ausgelöst wurde. Da war kein opfersensibler Umgang zu erkennen, es gab keine Transparenz. Und so ging es weiter.

 

Das heißt?

Biwer: Bei der Aufklärung der Tat wurden die Opfer nicht mitgenommen, bei der Planung der Gedenkstätte wurden ihre Vorschläge und Wünsche nicht gehört. Es ist dem Staat nicht gelungen, den Menschen zu vermitteln, dass das Land mit ihnen trauert.

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